Arbeitszeitverkürzung auf 30h/ Woche jetzt!

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Nervige Chef*innen, Stress, Überarbeitung, wenig Lohn, immer längere Arbeitszeiten und ständige Angst vor der Erwerbslosigkeit1. Schlagworte, die die Situation von vielen Erwerbstätigen treffend beschreiben. Und gleichzeitig gibt es 6 Millionen Erwerbslose, von denen die allermeisten gerne eine Erwerbstätigkeit ausüben möchten.

30-stunden-sind-genug-02Wie passt das zusammen? Warum wird der Druck für die Beschäftigten in den Firmen immer höher, während es immer mehr Erwerbslose gibt, die vom Staat gegängelt werden?

Die Ursache liegt zum einen in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft² und zum anderen in dem autoritären Staat. In der kapitalistischen Wirtschaftsordnung haben Unternehmen das Ziel möglichst viel Gewinn mit den Produkten zu erwirtschaften, die sie anbieten. Aspekte wie Umwelt, kämpferische Belegschaften und kurze Arbeitszeiten sind Standortnachteile für Unternehmen und schmälern den Gewinn.

Das alles sind Gründe dafür, dass Interessen der Belegschaften denen der Unternehmen grundsätzlich gegenüberstehen. So auch die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich³.

Die letzte einschneidende historische Arbeitszeitverkürzung gab es in Deutschland infolge der unvollendeten Revolution 19184. Der 8-Stunden-Tag bei
eine
r 5-Tage-Woche (also 40-Stunden-Woche) war ein Eingeständnis an die Arbeiter*innen und eine fortschrittliche Reform. Seit 1918 wurde diese Reform soweit ausgehöhlt, dass heute

die wenigsten sagen können, dass sie eine 40-Stunden-Woche haben. 2009 gaben 10% der Beschäftigten an sogar mehr als 48 Stunden in Woche in der Firma zu arbeiten! Und das obwohl die Arbeitsproduktivität (=Arbeitsmenge/Arbeitszeit) jährlich ca. um 2% steigt. Aufgrund einer solchen Steigerung kann bereits nach 50 Jahren die gleiche Menge in der Hälfte der Zeit produziert werden!

Da aber faktische Arbeitszeitverlängerung aufgezwungen wird, erhöht sich die Produktion stetig. Die internationalen Märkte werden mit (sinnlosen) Güternüberschwemmt. Davon profitieren die Unternehmen in Deutschland, während die in Südeuropa, Afrika und Asien verlieren. Der Kampf30-stunden-woche-bei-vollem-lohn-fuer-arbeitnehmer-klingt-das-zunaechst-gut um höhere Löhne und Arbeitszeitverkürzung hat also auch positive internationale Auswirkungen: es minimiert die globale Ungleichverteilung.

Die Lohnarbeit hat einen hohen quantitativen und qualitativen Anteil am Leben von vielen Menschen. Die Freizeit hingegen bleibt auf der Strecke. Wobei die Zeit außerhalb der Firma nicht nur entspannend ist. Was ist z.B. mit Hausarbeit, Erziehung von Kindern und Pflege von Angehörigen?

Alles Tätigkeiten, die in der kurzen „Freizeit“ gemacht werden. Kein Wunder, dass psychische Erkrankungen mittlerweile Massenerscheinungen sind. Ein gutes Beispiel ist „Burnout“. Aufgrund von einer anhaltenden Überbelastung kommt irgendwann der Punkt, an dem der eigene Körper „streikt“. Die betroffenen Menschen fühlen sich ausgebrannt, sie können nicht mehr. Erwerbslose sind sogar noch häufiger von Krankheiten betroffen. Zum einen wegen dem starken gesellschaftlichen Druck, der Armut und wegen der Kontrolle durch die Staats-Bürokratie.

Mit der Einführung der 30-Stunden-Woche gibt es mehr Freizeit für alle. Damit weniger Belastung und somit auch weniger Erkrankungen. Zudem sind dann weniger Menschen erwerbslos (wegen dem Personalausgleich). Es gibt eine Umverteilung der Lohnarbeit. Damit wird der Druck auf die Erwerbstätigen sinken genau wie der auf die Erwerbslosen.

Die 4 Hartz-Gesetze5 haben den Druck auf die Erwerbslosen stark erhöht. Der autoritäre Staat hat durch diese Gesetze ein Paradigmenwechsel vom fürsorgenden zum aktivierenden Sozialstaat vollzogen. Es geht nicht mehr primär darum Menschen vor ihrer
Existenznot zu sichern, sondern sie unter Druck zu setzen irgendeine auch noch so schlechte Stelle anzunehmen. Wenn das mit der (Leiharbeits-)stelle nicht funktioniert, dann werden sinnlose Hartz-Reformen-sorgen-fuer-StreitMaßnahmen oder 1€-Jobs angeordnet. Bei „Verstößen“ gegen eine hohe Anzahl an Bestimmungen gibt es härtere Geldkürzungen, Sperrzeiten bzw. Sanktionen. Bei „Regelverstößen“ kann auch noch der letzte cent der Erwerbsloen genommen werden. Und das, wo das Geld eh schon knapp bemessen ist.

Die Hartz-Gesetze sind das optimale Beispiel um den Charakter des autoritären Staates zu entlarven: Kontrolle ohne Rücksicht auf Privatsphäre, Schikanen durch willkürliche Bürokratie, Erziehung im Sinne der (prekären6) Erwerbsarbeit und Priorität für die kapitalistische Wirtschaft anstatt für die Menschenwürde.

Der derzeitige abwertende Umgang mit Erwerbslosen entblößt den ausgrenzenden Charakter dieser Gesellschaft. So wird Erwerbslosen vorgeworfen, dass sie sich auf Kosten von Mutti-Staat7 ausruhen würden und zu faul zum arbeiten seien. 6 Millionen Menschen werden als Menschen zweiter Klasse betrachtet, an den Rand gedrückt und das nur, weil sie gar keine Stelle finden (können). Es gibt nur 1 Millionen offene Stellen. Die Rechnung geht also gar nicht auf, egal wie viel sich Erwerbslose bewerben, fortbilden, rasieren, waschen oder sonst was tun. Mindestens 5 Millionen Menschen bleiben erwerbslos8.

Der gesellschaftliche und staatliche Druck auf Erwerbslose lässt sich auch auf die ungleiche Verteilung der Lohnarbeitszeit zurückführen. Mit einer Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche kann dem etwas entgegengewirkt werden.

Alles in allem ist der gemeinsame Kampf von Erwerbslosen und Erwerbstätigen für die Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche ein Teilschritt auf dem Weg zum „ganz großen Wurf“: der Umsturz der herrschenden Verhältnisse zugunsten einer basisdemokratischen, emanzipatorischen Gesellschaft ohne Ausgrenzung.

Die Arbeitszeitverkürzung vermindert die gesellschaftliche Spaltung zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen. Sie ermöglicht mehr Freizeit und damit kehrt der hauch vom Leben zurück, abseits von fremdbestimmter Lohnarbeit. Mehr Freizeit heißt auch mehr Zeit für Freund*innen, Bekannte und Verwandte. Mehr Freizeit ermöglicht mehr Raum für politische Bildung und Aktionen. Die braucht es und eine gute Organisation um dem Anspruch auf einen radikalen Umsturz gerecht zu werden.

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1 alternativer Begriff für Arbeitslosigkeit; Menschen ohne Erwerbsarbeit bzw. Lohnarbeit sind erwerbslos. Trotzdem gibt es noch unzählige unentlohnte Arbeiten (Hausarbeit, evtl. Pflege, etc.)
² Das Bürgertum („Mittelschicht“) gehört zu den Gewinnern und Befürwortern des Systems.
³ voller Lohnausgleich = Der Monatslohn nach der Arbeitszeitverkürzung ist genauso hoch wie zuvor; voller Personalausgleich = Einstellung von zusätzlichen Personal, sodass das Arbeitsvolumen der Firmen genauso hoch ist, wie vorher
4 Der 1. Weltkrieg (1914-1918) hat zu einer Zuspitzung der inneren Widersprüche in vielen Ländern geführt, u.a. wegen Hungersnöten. Das hat zu Protesten und Revolutionen geführt. In Deutschland hat es am 8. November 1918 zum Ende der Monarchie geführt. Nun gab es zwei alternative Modelle: auf der einen Seite die Revolutionäre, die eine sozialistische Rätedemokratie forderten, auf der anderen Seite die SPD, die mit den alten Eliten paktierte (Ebert-Gröner-Bündnis) und die Revolution zugunsten eines parlamentarischen Systems niederschießen ließ.
5 offiziell „Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“; umgangssprachlich werden sie nach Peter Hartz benannt, Vorsitzender der „Hartz-Kommission“, die die Gesetze vorbereitet hat
6 unsichere Lohnarbeitsverhältnisse; meist befristet, besonders niedrig bezahlt, etc.
7 alternativ zu Vater-Staat und in Anlehnung an die Kanzlerin Merkel, die oft als „Mutti“ bezeichnet wird
8 6 mio. Erwerbslose – 1 mio. Stellen = 5 mio. Erwerbslose; diese Rechnung beinhaltet die Annahme, dass die 1 mio. Stellen durch Erwerbslose besetzt werden. Faktisch gibt es aber immer offene Stellen.