Offener Brief: Helft Kobane!

direnkobaniEin offener Brief eines Genossen an die Linksfraktion im Bundestag sowie Mitglieder der Linkspartei

Offener Brief an die Linke im Bundestag und alle Mitglieder

Helft Kobane!

Liebe Genossinnen und Genossen,
Wie die meisten unter uns habe ich alle bisherigen NATO-Kriegseinsätze unter Vorwänden der Menschenrechte abgelehnt, da sie interessengeleitet waren – auch die Schreie nach einem Eingriff
im syrischen Bürgerkrieg unter Vorhaltung der dort sterbenden Menschen habe ich abgelehnt da ich
wusste dass aus diesem Krieg nichts Besseres erwachsen kann. So lehrt es uns auch die Geschichte
der meisten Kriege seit knapp 70 Jahren.
Würde man sich immer den Affekten und Ohnmachtsgefühlen beim Anblick der Opfer hingeben,
würde man nichts als Krieg führen. Andererseits darf man sich heute aber auch nicht in einem „Wir
habens ja schon immer gesagt und gewusst“ sonnen. Der Aspekt, wer und was alles an der heutigen
Situation Schuld ist soll hier ebenfalls nicht erörtert werden.
Stattdessen sollten wir die Situation sachlich analysieren und uns danach entscheiden. Dabei
komme ich zu folgenden Schlüssen:
Meine Ablehnung von Kampfeinsätzen hat eine Grenze. Diese ist dann überschritten, sobald eine
Armee mit einer totalitären Weltanschauung, die sich nicht einmal mehr ansatzweise auf unseren
Vorstellungen von Grund- und Menschenrechten gründet, eine ganze Region oder mehr einnehmen
möchte, darauf einen homogenen Staat errichten will und damit den Weltfrieden bedroht.
Der IS ist inzwischen mehr als eine Terrororganisation wie wir sie kennen, sondern längst ein
milliardenschweres Unternehmen mit großer, bestens ausgerüsteter Streitmacht.
Demgegenüber steht nun (noch) die demokratische Selbstverwaltung Rojava mit ihren
Kampfverbänden YPG und YPJ. Ich bin nicht völlig unkritisch für ihre Bewaffnung nur weil sie
auch einen roten Stern durch die Gegend tragen, sondern weil ich ihr Gesellschaftsprojekt mitsamt
dem Bekenntnis zur Säkularität und Koexistenz aller Völker sowie zur Demokratie für eine gute
Alternative für die Region, die gerade auseinanderfällt und sich neu ordnet/neu geordnet werden
muss, halte.
Dabei geht es eben gerade nicht um einen interessengeleiteten NATO-Einsatz und das
Aufoktroyieren einer korrupten Regierung wie man es in dieser Region nur zu gerne hat. Ganz im
Gegenteil zeigt die anfängliche, wochenlange Zurückhaltung der Koalition bei Luftangriffen
ausgerechnet in der Region Kobane, dass die Behauptung Kobanes und Rojavas den Interessen der
NATO-Staaten entgegenläuft. Nicht aber unseren. Es spricht vieles dafür dass die Luftangriffe erst
aufgrund des internationalen Drucks der Öffentlichkeit verstärkt worden sind. Die VerteidigerInnen
Kobanes sprechen von ersten Erleichterungen.
Eine interessengeleitete Bodenoffensive der NATO ist weiterhin abzulehnen. Auch Salih Muslim,
Co-Vorsitzender der PYD hat sich am Mittwoch noch ausdrücklich dagegen ausgesprochen und
entsprechende Falschmeldungen dementiert. Stattdessen sind allem Anschein nach unterstützende
Luftangriffe und die Bewaffnung der YPG mit panzerbrechenden Waffen der einzige Weg, um diese
Kampfverbände am Leben zu halten. Diese sind wohl die einzigen in der Region die dem IS so
richtig die Stirn bieten können, das haben sie unter anderem mit der Befreiung von Shengal sowie
natürlich der Verteidigung Kobanes eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Und genau das halte ich für
nötig.
Von Dienstag auf Mittwoch Nacht haben 400 Dschihadisten in Hamburg eine Kurdendemonstration
angegriffen und es mehren sich die Anzeichen, dass Dschihadisten in aller Welt den IS unterstützen
wollen und nun ihre Chance gekommen sehen, Millionen Anderen ihre Weltanschauung
aufzuzwingen. Genau darum halte ich es für wichtig, dass eine starke Kraft in der dortigen Region –
mit möglichst wenig aber eben soviel wie nötig – Hilfe von außen mit dem Mythos der furchtlosen,
unbesiegbaren Gotteskrieger aufräumt.
Sollte Kobane und bald darauf auch Rojava fallen wird sich diese Bewegung in einem Höhenflug
befinden der mancherorts böse enden kann – vor allem da wo sich das sogenannte Kalifat breit
macht.
Wer nun meint sowohl unterstützende Luftangriffe als auch Waffenlieferungen an äußerst fähige
und emanzipatorische Kampfverbände mit einer unfassbar starken Moral würden die derzeitige
Situation nur verschlimmern, soll mir doch einmal erklären, was er/sie mit einem Kalifat in dieser
Region anfangen will, das sich bis an die Grenzen des NATO-Mitglieds Türkei erstreckt. Auch die
Annahme, dass der IS einfach aufhört zu kämpfen wenn seine Konten gesperrt werden oder er ein
gewisses Gebiet kontrolliert halte ich für sehr vage, da wohl sehr viele nur noch in ihrem Wahnsinn
dort teilnehmen um zu kämpfen, zu sterben und im „Paradies“ zu landen. Ein Sperren der Konten
würde erst recht Anreize schaffen, sich auszudehnen um sich mit dem Nötigen zu versorgen.
Außerdem werden auch die Kurden sich beim Fall Kobanes das Spiel Erdogans zu Recht nicht
bieten lassen. Bereits jetzt kämpfen in der Türkei bewaffnete Truppen gegeneinander(Faschisten,
IS-Unterstützer, Kurden..) – ein Bürgerkrieg könnte der Türkei definitiv drohen. Eine vor allem in
der Grenzregion zu Syrien geschwächte Türkei wäre wiederum ein gefundenes Fressen für den IS
sich weiter auszudehnen. Der NATO-Bündnisfall würde daraufhin greifen.
Was also tun wenn nun Rojava sich nicht behaupten kann? Den IS machen lassen? Ein interner,
demokratischer Aufstand ist wohl eher unwahrscheinlich, Systeme wie der IS sind von Grund auf
darauf ausgelegt, jeden Widerstand im Keim zu ersticken. Die NATO wird irgendwann definitiv
eingreifen (müssen), und eben darum finde ich genau diesen Zeitpunkt richtig und nicht einen
späteren, wenn die demokratische Alternative der Region verschlungen wurde und eine völlig
interessengeleitete Invasion mit Bodentruppen aus einer völlig fremden Kultur, dem meist auch
verhassten Westen nur noch die einzige Alternative zum IS ist. Genau eine solche wäre der hier
geforderte Eingriff nicht.
Ich halte das Argument “In der Region sind schon genug Waffen, eine weitere Lieferung würde alles
verschlimmern” für eine undifferenzierte Gleichsetzung aller in der Region agierenden Kräfte als
vermeintliche Terrororganisationen, die nur Krieg führen wollen und nicht selbst mit den Waffen
umgehen können. Die YPG und YPJ sind fähig mit den ihnen anvertrauten panzerbrechenden
Waffen und Unterstützung aus der Luft eine emanzipatorische Alternative für die Region
gemeinsam mit den derzeit unter dem IS leidenden Menschen zu schaffen. Ein Fall Kobanes
andererseits und eine wahrscheinlich damit verbundene Einnahme Rojavas durch den IS würde
einen vollen Einsatz der NATO-Staaten erst so wirklich möglich und nötig machen.
Ich kann und will mir zum Schluss eine ideologische Argumentation nicht verkneifen:
Leider haben es nicht alle in der Welt so leicht wie wir, die wir Nazi- und Salafistenaufmärsche oft
nahezu gewaltfrei unter Leitung der Polizei blockieren können – woanders muss man eben zur
Waffe greifen um seine Freiheit zu verteidigen. Und ja ich finde dass YPG/YPJ für die Freiheit
kämpfen und nicht nur für eigene Interessen. Die Menschen im Nahen Osten müssen die
jahrzehntelange verfehlte Politik des Westens in Form schlimmster Gewaltexzesse ausbaden. Dass
ausgerechnet die Linke sie dabei im Stich lassen will ist mehr als skurril. Wer den IS jetzt nicht
stoppt, nimmt totales Chaos in der Region in Kauf.
Die YPG/YPJ haben lange nicht nach Waffen gerufen. Lässt man seine GenossInnen genau dann in
äußerster Not im Stich, wenn sie nach Unterstützung verlangen, verkommt die internationale
Solidarität zur hohlen Phrase. Für die Situation der Menschen in Nordsyrien passt wohl gerade ein
Satz sehr gut: Sozialismus oder Barbarei.

Panzerbrechende Waffen und Luftunterstützung für YPG/YPJ!

Kobane im Stich lassen macht Einsatz der NATO erst wahrscheinlich!

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