Hoppla … da steht ja mein Wortlaut im Verfassungsschutzbericht

… und das Erste, was ich dann dachte war: ‚Die Autor_innen scheinen ziemlich einfallslos zu sein‘ Da wird mein Flyertext doch glatt in der Presseversion des Baden-Württembergischen Verfassungsschutzberichtes 2013 zitiert. Erstaunt war ich schon, dass ein wenig Argumentationshilfe gegen den Sinn einer Einrichtung wie der Bundeswehr dazu ausreicht, um erwähnt zu werden.

 

Aber beginnen wir mal von vorn: im Mai 2012. Im Zuge einer Katastrophenschutzübung sollte ich für ein antimilitaristisches Bündnis einen Vortrag halten, da die Bundeswehr an dieser „Terrex 2012“ betitelten Sache teilnahm. Wo die stattfand, was genau das ist, kann man googlen. Letztlich redete ich darüber, wie die Bundeswehr so versucht, Kommandostrukturen innerhalb von Katastrophenschutzeinsätzen zu etablieren, um ihr eigenes Vorgehen zivilen Hilfsorganisationen aufzudrücken. Gemeint sind damit demokratisch besser kontrollierbare Strukturen wie Feuerwehren, THW, Krankenhäuser oder auch die Polizei.

 

Ein kleiner Exkurs in die Bundespolitik

 

Das Sichten von Oppositionsanfragen der Linksfraktion im Bundestag verdeutlichte mir während meiner Recherchen, dass laut Bundesregierung zivile Strukturen für Katastrophenschutz hinlänglich ausgebildet sind. Übrigens können sie auch im Falle von unwahrscheinlichen atomaren, biologischen und chemischen Angriffen Schutz und Hilfe leisten. Allein die Geräte, mit denen operiert wird, sind  teils über 30 Jahre alt. Modernes Gerät fragt man laut Bundesregierung besser bei der Bundeswehr an, deren Soldat_innen jedoch nicht für Katastrophenschutz ausgebildet sind.

Wer sich die sogenannten „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ (kurz: VPR) ab 1993 anschaut, wird schnell feststellen, dass selbst das Bundesverteidigungsministerium davon ausgeht, dass es in Mitteleuropa nicht mehr zu einem sogenannten „konventionellen Militärischen Schlag“ kommt. Will heißen: „dass ein Land das andere überfällt, wird hier nicht passieren“ sagt das Verteidigungsministerium sinngemäß – sicherlich arbeiten da die besten politischen Freunde eines Linksradikalen wie mir.

Die Bundeswehr als reines Verteidigungsinstrument existiert nicht. Sie wird zur Interventionsarmee umgebeaut und  dient hingegen laut den VPR 2011 u.a. dazu, „einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.“ Garniert und gerechtfertigt werden solcherlei fragwürdige Passagen mit ein wenig Völkerrecht hier und ein paar Menschenrechten dort.

 

Die zwei Kernthesen meines jetzt mittlerweile achtmal in BaWü gehaltenen Vortrages lauten somit: Katastrophenschutz kann man rein zivil organisieren und die Bundeswehr eigentlich im Sinne einer demokratischeren Gesellschaft abschaffen – immerhin ist sie ein autoritäres Machterhaltungsinstrument, welches basisdemokratischen Interessen per se diametral gegenübersteht. Freiwerdende Militärgelder könnten zudem dafür genutzt werden, den Katastrophenschutz umfangreich auszustatten. Soldat_innen könnten anstelle von Militärfahrzeugen in Kasernen auch gut auf Feuerwehrautos aufpassen und eine Katastrophenschutzausbildung machen. Mit den Überschwemmungen des Jahres 2013 wurde das Thema plötzlich wieder aktuell. Also bereiste ich mehrere Städte, um vor Publikum zu sprechen.

 

Zurück aus dem Pfingsturlaub, rein in die Realität

 

Nach dem Pfingsturlaub fällt mir der frisch erschienene VS-Bericht in die Hände. Neugierig schaue ich, was über die böse, böse Linksjugend[‘solid] BaWü anno 2013 denn so berichtet wird. ‚Huch, da steht ja der Wortlaut meines Flyers in Berichtform‘, stelle ich fest und denke mir weiter: ‚Also haben sie auch meinen Namen gelesen und bei sich wahrscheinlich irgendwo verewigt.‘ Der Bericht beinhaltet folgenden Passus: „Ebenfalls in […] lud die ‚Linksjugend‘ zusammen mit dem ‚Arbeitskreis gegen Krieg und Militarisierung‘ zu einer Veranstaltung über zivil-militärische Zusammenarbeit und ‚Militarisierung der Gesellschaft‘ […] Dort sollte mit dem ‚Mythos‘ der Verteidigungsarmee aufgeräumt und für die Abschaffung der Bundeswehr plädiert werden.“

Es mag nach universitärem Gehabe klingen, aber ein paar Quellenangaben und eine Erwähnung des Autors hätten sicherlich nicht geschadet. Einige Ex-Unions-Minister_innen können über Plagiate eventuell ein Liedchen singen.

„Skandalös“ scheint jedenfalls zu sein, dass junge linke Menschen sich mit den Machenschaften der Bundeswehr auseinandersetzen, ihre Taten kritisch bewerten und die politische Forderung aufstellen, den Laden tunlichst einzustampfen. Das ist übrigens eine Position, mit der man sich auf dem Boden des Grundgesetzes von 1949 bewegt – darin war nämlich nie eine Armee vorgesehen. Heute unvorstellbar. Aber wahrscheinlich bestanden die „Väter des Grundgesetzes“ (unter den stimmberechtigten Abgeordneten befanden sich gerade einmal vier Frauen) alle aus bolschewistischen Agenten, deren „Fehler“ es Mitte der 1950er zu korrigieren galt.

 

„Mäßigen Sie sich“

 

Viermal klingel ich mit unterdrückter Nummer bei der Behörde in Stuttgart durch – zu verlieren gibt es ohnehin nichts mehr. Nach mehreren Fehlversuchen, die Ressortleitung für Linksextremismus zu sprechen, lande ich irgendwann an der Pressestelle, die mit meinen Anfragen völlig überfordert ist und kein politisches Gespräch mit mir suchen will. Zugegeben, meine Empörung am Apparat ist ein wenig gespielt. Doch auf die mehrfache Aufforderung „mäßigen Sie sich“, blaffe ich irgendwann zurück: „Maßregeln Sie mich nicht!“ Das sitzt.

Alle Anfragen, die ich zum Thema hätte, könne ich schriftlich an das zuständige Ministerium stellen. „Ich soll mich also selbst denunzieren“, konstatiere ich. Mittagspausen und vorgeschobene Meetings machten es möglich, mich nicht zur Abteilung für Linksextremismus durchzustellen. Jene, die der Meinung war, meinen Flyer in den Bericht bringen zu müssen. Wenn’s weiter nichts ist. „Ich finde Ihre Autoren ziemlich unkreativ“, teile ich der Pressestelle mit: „Fällt Ihnen zum Thema ‚Linksextremismus‘ wirklich nichts besseres ein?“

 

Der bemüht freundliche Mensch lässt sich auf nichts ein. Wo ich schon mal dabei bin, unterstelle ich der Behörde noch umfassende Mängel in Demokratietheorie: „Wenn es nach diesen Maßstäben geht, müssten Sie Vorlesungen an sämtlichen Hochschulen in ganzen Fachbereichen observieren.“

Zu internen Vorgängen würde man sich nicht äußern. Schön, dass man von der ach so demokratisch operierenden Behörde völlig unbürokratisch erfährt, was sie mit den eigenen Daten machen und ob sie Akten anlegen. Der gute Pressemensch hatte wohl letztlich wenig Verständnis für meine Polizeistaatsvergleiche. Linkssein wirkt offensichtlich schwerer als der Bruch der UN-Kinderrechtskonvention. Den begeht die Bundeswehr im Auftrag des „Vaterlandes“ jedes Mal dann, wenn sie auf Schulhöfen Kinder unter 18 Jahren für den Militärdienst anwirbt.

 

Fazit: Die Bundeswehr ist unantastbar

 

Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass ich das Textsammelsurium des Verfassungsschutzes für eine missglückte, zusammenhangslose Verdrehung der Tatsachen halte. Es wäre sogar lustig, würde das nicht negativ auf einige zurückfallen, die auf die Verbesserung der Lebensumstände aller Menschen hinarbeiten. So hingegen stellt sich die Grün-Rote Landesregierung mit dem Fortführen des VS in der jetzigen Form ein demokratietheoretisches Armutszeugnis aus. Sie unterschlägt beispielsweise damit auch, dass in Sachen Bildungsplan 2015 die von ihr beobachtete Linksjugend zu ihren stärksten Verbündeten zählt – obgleich sie in vielerlei Hinsicht auch schärfste Kritik an der Landesregierung übt.

 

Zu rassistischen Tendenzen in Burschenschaften oder etwa der AfD verliert der vorliegende Bericht kein Wort. Hingegen scheint es als Hochverrat zu gelten, bestehende Einrichtungen ob ihrer Demokratietauglichkeit zu kritisieren. Wenn jemand anderes als das Verteidigungsministerium über dessen öffentliche Absonderungen spricht – es gar wörtlich zitiert – steht man als Linke/r eben im Verfassungsschutzbericht. Als Bundespräsident darf man mit solchen Zitaten auch gelegentlich mal den Hut nehmen. Offensichtlich gibt es im kollektiven Bewusstsein der politischen Konservativen so etwas wie unangreifbare Institutionen – oder eben gelangweilte Verfassungsschutzautor_innen, die einfach irgendwas in den VS-Bericht schreiben, um ihren Arbeitsplatz zu sichern. Sich als V-Person auf Staatskosten einen Lenz machen, ist schließlich seit der NSU-Affäre wohl eine eher unbeliebte Perspektive beim baden-württembergischen Ministerium für Staatssicherheit, stiehlt es sich im eigenen Bericht doch gekonnt aus der Verantwortung. Besser noch: Zwei Dekaden Verstrickungen in den NSU-Mordskandal werden nur unwesentlich viel mehr Platz eingeräumt als einem kleinen, eigentlich unbedeutenden, antimilitaristischen Vortrag.

Autor: kann man googlen

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