Geflüchteten eine Stimme geben – Interview Teil 1

Merdin (Name geändert) 35 Jahre, kommt aus einem Dorf nahe der Stadt Aleppo in Syrien und kam im Januar, nach 2 ½ Jahren Flucht, zusammen mit ihrer Tochter in Deutschland an. Wir haben sie über ihre Flucht befragt:

Was hat dich dazu gebracht zu sagen, jetzt verlasse ich meine Heimat?

Ich war schwanger, als der Krieg in Syrien ausbrach. Mein Mann und ich beschlossen dann im Sommer 2012, als der Krieg in unser Dorf kam, dass wir Syrien in Richtung Türkei verlassen müssen. Immer wieder erhielten wir Nachrichten, dass die islamistischen Brigaden und Teile der FSA Kurden und Aleviten hinrichten, indem sie ihnen die Köpfe abschlagen. Als wir die türkische Grenze überquerten, wohnten wir zusammen mit meinen Eltern in einem kleinen Haus, welches wir uns angemietet hatten. Meine Eltern aber hatten ein Visa für Saudi-Arabien und zogen deshalb bald weiter. Anfang 2013 kam dann meine kleine Tochter auf die Welt und ich wurde krank. Die Operation war aber in der Türkei viel zu teuer, weshalb ich zurück nach Syrien, nach Afrin wollte. An der Grenze gab es Probleme mit den türkischen Sicherheitskräften, die mich nicht rüber lassen wollten. Schließlich bin ich über die grüne Grenze (illegaler Grenzübertritt). In Afrin wurde ich operiert, allerdings schlug diese fehl. Man hat festgestellt, dass ich Gallensteine hatte. Nach 10 Tagen Krankenhausaufenthalt, schleppte ich mich zusammen mit meiner Familie zurück an die Grenze. Dort wollten uns die türkischen Sicherheitskräfte aber nicht rüber lassen. Wieder musste wir bei Nacht die Grenze illegal überqueren. Wir hatte im Gegensatz zu anderen Glück. Diejenigen die erwischt wurden, wurden erschossen oder gefoltert. In der Türkei mussten wir dann zusammen mit anderen Menschen in einer Garage schlafen. Ich bin dann mit meinem Mann und meiner Tochter weiter nach Istanbul. Unsere letzten Ersparnisse haben wir für die Miete einer Wohnung zusammengekratzt, in der wir 6 Monate wohnten. Auf dem Rathaus hat man mir nach langem betteln und flehen einen Schein ausgestellt, mit dem ich im Krankenhaus meine Operation wiederholen lassen konnte. Der Arzt meinte, dass ich sterben würde, wenn diese OP nun nochmal schief gehen sollte. 1 ½ Monate musste ich im Krankenhaus liegen. Nachdem ich die Nähte öffnen lassen habe, ist mein Mann zurück nach Syrien gegangen und hat mich und meine Tochter zurück gelassen. Ich hatte kein Geld, aber wollte unbedingt meiner Tochter ein besseres Leben ermöglichen und so beschloss ich die Flucht nach Europa zu wagen. Mein Vater schickte mir Geld, damit ich die Flucht finanzieren konnte. Ich habe dann im Januar 2014 ein Gruppe Kurden getroffen, die ebenfalls nach Griechenland wollten. Ich bezahlte 2500€ für mich und 1750€ für meine Tochter. Wir wurden dann zusammen mit Afghanen, Syrern und Kurden ans Meer gebracht zu einem Schlauchboot, auf dem normalerweise 5 Personen Platz haben. Wir aber waren 15 Personen. Zudem mussten wir paddeln, da es kein Motor gab. Der Schleuser hat uns kurz erklärt in welche Richtung wir fahren müssen und hat uns dann allein gelassen. Wir sind Stunden auf dem Meer getrieben und auf dem Boot kam es zu Streitereien, da keiner wirklich wusste wo man lang fahren muss.

Irgendwann nach 1 ½ Tagen haben wir es dann doch geschafft und wir kamen in Griechenland an. Dort mussten wir eine große Felswand empor klettern, immer meine Tochter auf dem Rücken gespannt. Es ging weiter durch matschige Wiesen, bis wir irgendwann mitten in der Nacht an eine Straße kamen. Ein Afghane, der ebenfalls mit uns das Meer überquert hatte und einen Überblick hatte, sagte, dass wir uns nun bei der Polizei melden müssten. Ein paar Meter weiter wartete diese schon vermummt und bewaffnet auf uns. Sie beschlagnahmten unsere Handys, zerstörten die Simkarten und Akkus und verprügelten den Afghanen, sowie einen Kurden. Sie schlugen sie mit Knüppeln und klemmten ihre Köpfe zwischen eine Autotür, die sie immer wieder zuschlugen. Die ganze Gruppe weinte, bei dieser Grausamkeit.

Nachdem die beiden Männer bewusstlos waren, brachte man uns in einen Bus und fuhr uns zu einer Polizeistation. Dort waren wir in einem kleinen Raum untergebracht. Ich war zusammen mit 13 Männern in diesem Raum. Die Decken, das Klo und der Boden waren total verschmutzt. Ich flehte die Wärter an, mir etwas Milch für mein Kind zu bringen, doch diese bekam ich nur gegen Geld und weil ich 4h gebettelt habe.

Am nächsten Tag um 10 Uhr Abends wurden wir zusammen mit ca. 60 anderen Personen zurück an den Ort gefahren, an dem wir aufgegriffen wurden. Wir mussten zum Strand laufen und in ein Motorboot einsteigen, welches von Frontex war. Dann brachten sie uns zurück in die Türkei. Auf dem Weg dorthin beleidigten und schlugen uns die Polizisten. Ich habe dort auch die deutsche Polizei gesehen.

In der Türkei angekommen mussten wir wieder ein paar Stunden zu einem Dorf laufen. Dort riefen wir die Polizei, welche uns für 50€ nach Istanbul schickte. In Istanbul habe ich mit meiner Tochter ein paar Wochen bei meinen ehemaligen Nachbarn gewohnt, da meine Wohnung mittlerweile wieder vermietet war. Schließlich traf ich aber einen Schlepper, der mich für 500€ über die Grenze nach Bulgarien bringen konnte. Dort angekommen stellte ich einen Asylantrag und kam in eine Flüchtlingsunterkunft. Doch die Bedingungen dort waren katastrophal. Das Essen war schlecht und viel zu wenig, alles war dreckig und die medizinische Versorgung praktisch nicht vorhanden. Ich musste aufgrund meiner OP zur medizinischen Behandlung. Die Ärzte waren so inkompetent, dass sie nicht einmal meine Venen fanden, um mir die Infusion zu legen. Nach ein paar Stunden im Krankenhaus, gaben sie mir die Infusion und meinten, ich könne diese auch trinken. In der Unterkunft trank ich dann ein bisschen davon, da es mir schlecht ging. Doch von der Infusion wurde mir noch schlechter und ich wurde richtig krank. Nach 7 Monaten beschloss ich dann, dass es in Bulgarien keine Zukunft für mich gibt und ich bezahlte einen Fahrer mit 100€, der mich und meinte Tochter, zusammen mit 7 weiteren Personen nach Deutschland brachte.

Welche Erwartungen hast du jetzt?

Ich will mir Ziele setzen. Ich will arbeiten und mir, sowie meinem Kind eine Zukunft aufbauen. Damit sie wie andere Kinder zu Schule gehen und wie andere Kinder in Frieden leben kann. Ich hoffe, dass dieser Alptraum nun endlich ein Ende hat.

Willst du irgendwann wieder einmal zurück?

Ich würde gerne wieder zurück in meine Heimat, sofern der Krieg zu Ende ist und man in Syrien wieder eine Perspektive hat. Doch derzeit stehen die Chancen dafür schlecht.

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