Nachdem Hilke Hochheiden im ersten Teil ihres Interviews am Montag verriet (hier lesen), dass die Kurdistan-Solidarität in Mannheim bei der baden-würrttembergischen Landtagswahl eine große Rolle spielt, geht die Landtagskandidatin im zweiten Teil noch einmal auf den IS und die Strategien der Bundesregierung ein. Die Hochschulpolitikerin erläutert zudem, was eine Landesregierung dafür tun kann, um die Situation an den Hochschulen und Universitäten für Studierende und Forscher*innen zu verbessern.
[‘solid] BaWü: Hat DIE LINKE.Mannheim auf kommunaler Ebene Erfolgsprojekte vorzuweisen?
Hilke: Ja, bei der Behindertenwerkstatt in Mannheim-Neckarau gibt es eine relativ viel befahrene Straße, die die Menschen auch überqueren müssen. Wir haben es durchgesetzt, dass es eine Verkehrsinsel gibt, damit man die Straße leichter queren kann. Das wäre ohne DIE LINKE. Mannheim nicht passiert.
[‘solid] BaWü: Jene LINKE. will im Land etwas bewirken und naturgemäß gehen [‘solid]-Mitglieder an der ein oder anderen Stelle etwas weiter als die Partei. Wo siehst du das größte Veränderungspotential in der LINKEN?
Hilke: Karl Marx sagte ein mal, dass “radikal [zu] sein ist, die Sache an der Wurzel fassen”. Ich glaube, dass DIE LINKE. in diesem Sinne viel radikaler sein könnte. Wir sind häufig dabei, uns mit den Symptomen zu beschäftigen, anstatt uns wirklich mit der Ursache auseinanderzusetzen.
Nehmen wir das ganze Thema Armut. Natürlich ist es wichtig, dass Menschen in Armut jetzt etwas mehr Geld bekommen. Doch es geht nicht mir nicht weit genug darüber zu befinden, ob es ein paar Euro mehr Hartz IV oder Mindestlohn geben soll. Das ist nicht die Lösung, da wird nur innerhalb des Systems selbst etwas verändert. Wir müssen uns einfach öfter trauen, laut auszusprechen, dass das Problem an sich das System ist und öfter zu sagen, dass der Kapitalismus scheiße ist. Das müssen wir offensiv vertreten. Dazu gehört, mehr Menschen erreichen zu wollen und sie über Bildungsarbeit mitzunehmen, um ihnen klarzumachen, woran ihre Probleme eigentlich liegen.
[‘solid] BaWü: Du möchtest also konkret, dass Bildungsarbeit für Leute geschaffen wird, die sich für den politischen Alltag nicht interessieren?
Hilke: Na ja, letztendlich muss man anfangen, die Leute in ihrem Alltag zu politisieren. Wenn man sie nicht dazu bringt, sich für Politik zu interessieren, kann man mit der Bildungsarbeit kaum ansetzen. Aber diese Bildungsarbeit muss kommen, sobald Menschen politisiert worden sind. Das macht DIE LINKE. auch teilweise.
Und diese LINKE. wird dadurch spannend, dass sie sich aus so vielen politischen Richtungen zusammensetzt, dass es auch auf zahlreichen Gebieten Leute gibt, die gute Arbeit machen. Das ist aber kaum in der öffentlichen Wahrnehmung und DIE LINKE. kommt rüber wie die SPD vor 30 Jahren.
[‘solid] BaWü: Hast du selbt konkrete Ansätze, wie du versuchst, das politische Interesse von Leuten zu steigern?
Hilke: Wenn ich auf Leute zugehe, versuche ich sie an ihrer Lebensrealität zu packen. Ich kann natürlich jede*n mit meinem Lieblingsthema Bildungspolitik vollquatschen. Aber es ist wichtig zu verstehen, ob es das Gegenüber interessiert und im Gespräch da anzusetzen, wo ihnen der Schuh drückt. Als ich vor ein paar Jahren nach Mannheim kam, war ACTA ein großes Thema.
Da konnte man sagen: “Hey Leute, kommt mal mit auf die Demo und dann reden wir mal drüber.” Das funktioniert auch bei Sachen wie TTIP oder bei der Frage, weswegen Menschen in sozialen Berufen so schlecht behandelt werden. Das hängt aber alles vom jeweiligen Lebensmittelpunkt der Menschen ab.
[‘solid] BaWü: Sprechen wir mal mit Blick auf deine letzte Antwort über Wissenschaftspolitik. Du bist auch beim Studierendenverband Die Linke.SDS aktiv. Was muss hochschulpolitisch anders laufen?
Hilke: Ich sage immer wieder aus tiefster Überzeugung, dass Wissenschaft Neugier braucht. Jedoch habe ich das Gefühl, dass das aktuelle Hochschulsystem keine Neugier schafft, sondern dass es darauf ausgerichtet ist, Menschen möglichst schnell durchzuschleusen was dazu führt, dass die Menschen ihr Wissen oder gewisse “Wahrheiten” nicht hinterfragen.
Damit Menschen neugierig werden und Wissen schaffen wollen, braucht es mehr Freiräume. Das fängt bei finanziellen Zwängen an. Wer nicht weiß, wie er*sie die Studienfinanzierung realisieren soll, hat nicht die Zeit, sich noch einmal zwei Jahre mehr für das Studium zu nehmen.
Auch die Anwesenheitspflichten oder der Druck, in jedem Semester fünf oder sechs Prüfungen zu schreiben, sind ein Problem. Es gibt ganz viele verschiedene einzelne Ausprägungen, die Studierende unter Druck setzen, möglichst schnell und möglichst stromlinienförmig durchzukommen, anstatt kritisch nachzuhaken.
Prekär sieht es auch bei den Arbeitsplätzen für junge Wissenschaftler*innen aus. Die machen sich teilweise mehr Sorgen darüber, was sie in zwei Monaten noch zu essen haben, statt Zeit dafür zu haben, sich mit Wissenschaft auseinanderzusetzen.
[‘solid] BaWü: Was kann das Land hochschulpolitisch konkret besser machen? Können Landespolitiker*innen auf Bologna einwirken? (Bologn war der Prozess, der zur Straffung des Studiums und zum Bachelor/Mastersystem führte; Anm. d. Red.)
Hilke: Den Bologna-Prozess an sich kann der Landtag nicht einfach abschaffen. Dennoch gibt es für den Landtag Möglichkeiten, ihn menschlicher auszugestalten. Zwei konkrete Beispiele:
In Thüringen hat die Landesregierung die körperliche Anwesenheitspflicht in Seminaren abgeschafft. Das könnte man auch in Baden-Württemberg abschaffen.
Eine andere Sache sind die Orientierungsprüfungen an baden-württembergischen Hochschulen, die relativ am Anfang eines Bachelor-Studiums abgelegt wird. Wenn Studierende die nicht bestehen, werden sie aus ihrem Studium geschmissen. Das ist für zahlreichende Studierende ein Stressmoment.
Wenn man die (häufig äußerst schwierigen) Einführungsveranstaltungen nicht besteht, war es das mit dem Studium direkt, obwohl das auf die Wissenschaft an sich gar keine Auswirkung hat. Diese Prüfung ist ein reiner Selektionsmechanismus, den man einfach per Landesgesetzgebung abschaffen könnte. Man kann Bologna also nicht abschaffen, aber innerhalb des Systems mehr Freiräume schaffen.
[‘solid] BaWü: Hilke, ein weiteres Kernthema von dir ist Friedenspolitik. Die Partei DIE LINKE. hat sich immer als Friedenspartei gegeben. Vor ein paar Jahren mobilisierte die politische Rechte auf die Friedensdemos am Montag. Das hat die Friedensbewegung bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet. Wie gehst du damit um?
Hilke: Es ist eine schwierige Frage, wie man mit den neurechten Ideolog*innen, die sich bei der Friedensbewegung tummeln, umgeht. Für mich ist es aber die falsche Antwort, sich rauszuziehen und zu sagen, dass die Friedensbewegung gescheitert ist und wir können keinen Frieden mehr machen. Dazu ist das Thema einfach zu wichtig.
Zahlreiche Menschen gehen erst einmal zu Demos, weil sie gegen Krieg sind. Den Menschen muss man klar machen, dass die Ursache für Kriege nicht irgendwelche Weltverschwörungen sind, sondern dass man das rational hinterfragen muss. Es geht eben auch um Profitinteressen von Rüstungskonzernen und Firmen, die ein Interesse an den Rohstoffen der jeweiligen Länder haben.
Wenn sie nur die neurechten Friedensdemos geboten bekommen, dann landen die Leute leider bei denen und so findet dann auch keine gegenteilige Meinungsbildung statt, die wichtig wäre. Das bedeutet auch, dass man nicht alle Menschen, die zu einer Friedensdemo gehen, als rechte Verschwörungstheoretiker*innen diffamiert, sondern sich erst einmal mit ihnen auseinandersetzt.
[‘solid] BaWü: Siehst du einen Widerspruch darin, die Rojava-Bewegung zu unterstützen, die sich mit Waffen gegen den IS verteidigt und auf der anderen Seite Friedenspolitikerin zu sein?
Hilke: Die Menschen in Rojava verteidigen sich aktuell gegen die Angriffe des IS. Mit dem Assad-Regime gibt es eine Art brüchigen strategischen Frieden, da der IS der schlimmere Gegner ist. Sie haben dort die Wahl zwischen dem Griff zu den Waffen oder abgeschlachtet zu werden.
Daher ist es auch sinnvoll, sie zu unterstützen, aber nicht indem irgendwelche Peshmerga ausgebildet werden, sondern indem man den Menschen vor Ort konkret das gibt, was sie brauchen. Da geht es auch darum, dass ihnen in der Region einfache Dinge wie Medikamente fehlen. Was die Bundeswehr hingegen macht, sehe ich kritisch. Ich wage zu bezweifeln, dass noch mehr Bombenabwürfe etwas bringen.
Beim Bundeswehreinsatz handelt es sich zwar um eine Beobachtungsmission, doch sie schießt Bilder, damit andere Bomben abwerfen. Der Einsatz dient vor allem dazu, Kriegseinsätze – gerade nach den Erfahrungen in Afghanistan – wieder salonfähig zu machen.
Auch die rechtliche Legitimität ist unglaublich schwierig. Wenn ich richtig informiert bin, führt die Entscheidung der Bundesregierung dazu, dass man den IS als Staat anerkennt, da es sich für Völkerrecht für zwischenstaatliche Konflikte handelt. Diese Anerkennung will ich nicht. Außerdem denke ich, dass Bomben auf den IS der falsche Weg sind, da das letztendlich wieder Zivilist*innen trifft und sich dadurch wieder mehr Menschen radikalisieren.
Wenn man den IS tatsächlich bekämpfen will, muss man ihre Finanzströme und ihren Nachschub aus dem Westen endlich austrocknen.
Auch in Deutschland selbst braucht es eine andere Sozialpolitik. Wäre diese hier und anderswo besser ausgestaltet, würden sich vielleicht weniger verunsicherte Menschen dazu entschließen, in den Krieg nach Syrien zu ziehen.
[‘solid] BaWü: Danke für das Gespräch!