PEGIDA – Eine Schande?

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Seit einigen Wochen geschieht in Deutschland Beunruhigendes: Die Bewegung der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ fordert den Erhalt vermeintlich christlicher, deutscher Werte – und gewinnt dabei stetig an Zulauf aus der Bevölkerung. Politiker aller Couleur ringen seither um Fassung und eine adäquate Haltung zu der Gruppierung.
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Dabei überrascht es nicht, dass konservative Stimmen sich dagegen verwehren, die Bewegung als rechtsextrem einzustufen oder gar einen konstruktiven Dialog fordern. Doch auch der rhetorische Rundumschlag des Bundesjustizministers Heiko Maas, der PEGIDA in markigen Worten als eine „Schande für Deutschland“ bezeichnete, greift zu kurz. Um eine sachgerechte Kritik zu entwickeln, muss die Gruppe eingehender betrachtet werden.

Eine kurze Dekonstruktion der Bezeichnung PEGIDA verspricht hierbei einigen Aufschluss. Markant erscheint zunächst die Formulierung „Patriotische Europäer“. Hier wird der Begriff des Nationalstolzes, der Identifikation mit der eigenen Nation, mit der Selbstbeschreibung als Europäer verknüpft. So erheben sich die PEGIDA-Anhänger über den Verdacht des Nationalismus und der bloßen Ausländerfeindlichkeit – als Europäer haben sie schließlich nichts gegen andere Nationen. Die weithin akzeptierten Grenzen des gesellschaftlich „Sagbaren“ werden daher nicht überschritten.

Der zweite Teil des Namens macht durch den Begriff „Abendland“ jedoch deutlich, wie dieses Bekenntnis zu Europa zu verstehen ist: Als eine Identifikation mit einer bestimmten – wohlgemerkt christlich geprägten – Wertegemeinschaft. Dieser Wertegemeinschaft wird die Bedrohung durch eine vermeintliche Islamisierung gegenüber gestellt.

PEGIDA bedient sich also einerseits einer populistischen Logik, bei der einer unscharf definierten Wir-Gruppe eine Bedrohung durch eine kleine, aber mächtige, fremdartige Sie-Gruppe gegenüber gestellt wird.Andererseits wird hier jedoch auch PEGIDAs kulturalistische Prägung deutlich. Kulturalismus bezeichnet eine Haltung, welche die Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen als naturgegeben annimmt und zur Grundlage einer Bewertung von Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis macht. Kulturalismus wird daher auch als eine Form des Rassismus angesehen, bei denen der Begriff der Kultur den Begriff der Rasse ersetzt hat. PEGIDA hat zwar nichts gegen Ausländer – aber nur so lange, wie diese sich der „deutschen Leitkultur“ anpassen. Kulturelle Fremdartigkeit wird nicht geduldet. B08ighACYAAUSp5

PEGIDA muss also in aller Deutlichkeit als rassistische und rechtspopulistische Bewegung eingestuft werden.

Doch damit nicht genug: PEGIDA ist keine Ausnahmeerscheinung, kein unerklärlicher Ausreißer aus einem ansonsten ruhigen gesellschaftlichen Mainstream. Die traurige Wahrheit ist, dass PEGIDA tief in selbigem verwurzelt ist. In einer von Zeit online in Auftrag gegebenen YouGov-Umfrage äußerten 49 Prozent der Befragten volles oder weitgehendes Verständnis für die Demonstrationen. Die Demonstration in Dresden am 15.12., bei der PEGIDA etwa 15000 Menschen mobilisieren konnte, stellt die massivste Manifestation rechtsextremen Gedankenguts in Deutschland seit den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen 1992 dar. Doch diejenigen, die in Dresden oder Düsseldorf auf die Straße gehen, sind – wie auch damals – keine springerstiefelbewährten Skinheads, sondern „normale“ Bürgerinnen und Bürger.

Die beängstigende Schlussfolgerung lautet: Der Rechtsextremismus ist in die bürgerliche Mitte zurückgekehrt. Horst Seehofer liegt daher falsch, wenn er fordert, die Demonstranten nicht pauschal zu verurteilen. Auch seine oft grenzwertigen Parolen haben in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, rechtsextreme Positionen gesellschaftsfähig zu machen. Die Politik darf im Umgang mit PEGIDA keinerlei Entgegenkommen signalisieren: Für Rechtsextremismus darf es keine Toleranz geben!

Doch wie kann die Politik, wie können progressive Kräfte auf PEGIDA reagieren? Zunächst gilt es, das berüchtigte „Man-Wird-JA-Wohl-Noch-Sagen-Dürfen“ umzukehren: Natürlich kann PEGIDA rechtsextreme Positionen äußern. Doch dann müssen sich die Anhänger der Gruppe auch gefallen lassen, als rechtsextrem identifiziert zu werden. Nur durch beständige Kritik können die Grenzen des gesellschaftlichen Diskurses wieder in eine Richtung verschoben werden, die rechtsextremem Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft keinen Platz lässt.
Doch darüber hinaus muss auch gefragt werden, wo die Gründe für das amorphe Bedrohungsgefühl der PEGIDA-Anhänger liegen. Auch wenn hier keine detaillierte Analyse dieser Frage erfolgen kann, liegt die Vermutung nahe, dass PEGIDA nur ein Symptom eines von Existenzangst und marktwirtschaftlichem Konkurrenzdruck geprägten gesellschaftlichen Klimas darstellt.

Und genau hier liegt die eigentliche Schande: In der Tatsache, dass die Politik es dazu kommen ließ, dass ein großer Teil der deutschen Bevölkerung heute rechtsextreme Positionen vertritt. Dieser schmerzhaften Erkenntnis wird sich Politik stellen müssen, wenn sie künftig Schlimmeres verhindern möchte.