Die Arbeitskraftmaschine

Es ist Krisengespräch in meinem Ausbildungsbetrieb. Die Produktion läuft zu uneffizient bzw. ist aufgrund von mangelnder Eigeninitiative geradezu eingeschlafen. Unterschiedliche Zwangsmaßnahmen werden angedroht. Die Azubis haben kein Vertrauen untereinander, sind alle samt Individualisten und sich selbst am nächsten.

(Karrikatur von Jean Pierre Gallot / Quelle: Flickr)

Man beginnt über die Fehler der anderen Azubis zu klagen. Eine Kollegin tritt vor: “Der X ist einfach bei jedem Scheiß krank. Warum macht der die Ausbildung überhaupt? Ich racker mich hier ab! Ich schleppe mich mit jeder noch so schlimmen Krankheit in den Betrieb! Diese Ausbildung ist mein Leben! Ich blute für sie, während andere sich einen Lenz machen.”

Bedächtiges Kopfnicken in der Runde – allseitige Zustimmung. Tatsächlich war die Kollegin schon mehrmals wochenlang mit diversen Medikamenten bepackt im Betrieb aufgetaucht und hatte sich klagend und seufzend durch den Tag geschleppt. Tatsächlich waren ihre letzten Sätze nicht einfach nur Eigenwerbung. Sie hatte nichts außer der Ausbildung. Nicht etwa weil sie keine Freunde, keine Familie und keine Hobbys hätte. Aber sie hatte keine andere Zukunft. ihre einzige realistische Möglichkeit auf dem Arbeitsmarkt später noch zu was zu kommen war diese Ausbildung.

Hollywood-Drehbuchautoren würden diese Geschichte lieben: Die Frau, die sich nicht unterkriegen lässt, an ihre Träume glaubt und sich eine Zukunft in der wunderbaren Welt des freien Marktes erkämpft….so erscheint diese Geschichte durch die neoliberale Brille….auch bei meinen Kollegen aktivierte dieses Drama die schlechtesten Teile ihres anerzogenen Wertekorsetts. Ich fand es einfach nur traurig.

Das wir alle im Kapitalismus vom Arbeitsmarkt und der dort herrschenden Konkurrenz abhängen, sollte man wissen, ist aber heute nicht weiter schockierend. Geschockt bin ich immer wieder von den zunehmend inhumanen Mitteln, die in der Konkurrenz eingesetzt werden (müssen).

Im Weltmaßstab bspw. kämpfen in Ungarn Teile der jüngeren Bevölkerung gegen die “faulen Rentner” oder Leute lassen lieber die Refugees im Mittelmeer ersaufen als etwas vom nationalen (imperialistischen) Einkommen auf Integration zu verwenden.

Im Kleinen sind es eben diese Geschichten, die mich schockieren. Menschen ruinieren ihre Gesundheit für die Konkurrenz und sind darauf auch noch stolz. Sie verlieren jeden Respekt vor sich selbst als Menschen und ersetzen diesen mit ihren “Leistungen”. Wenn eine Person nichts fürs Kapital leistet, ist sie in dieser Logik auch nichts wert.

Kapital beruht aber auf dem Profit. Aus den Arbeitskräften soll Profit geschlagen werden und darum werden sie auch immer mehr Wert produzieren müssen, als sie selber direkt oder indirekt von der Gesellschaft zurückbekommen.

Diese Statistik zeigt wie die Arbeiter immer mehr produzieren aber nur einen Bruchteil davon kriegen. (obere Linie= Arbeitsproduktivität; untere Linie= Löhne)

 

 

 

 

Das schlägt sich natürlich auch im Alltag nieder. Wir haben immer irgendwie zu wenig Mittel um unsere Arbeitsmühen zu kompensieren. Kurz gesagt: Wir leben immer ein bisschen mehr für die Arbeit, als wir von der Arbeit leben.

Wenn wir dieses Dilemma individuell lösen wollen, gibt es eine naheliegende Möglichkeit: Wir müssen besser wirtschaften. Wir müssen mit unseren Lebensmitteln (hier im weitesten Sinne) möglichst effizient umgehen, dass sie trotzdem irgendwie die Mühen kompensieren. Jedes Stück Freizeit muss sich in diesem Sinne “lohnen”. Jeder gekaufte Cafe der nicht schmeckt, ist eine kleine Niederlage und ein gescheiterter Urlaub eine Katastrophe.

Es entsteht ein Bewusstsein von unserem Körper als Maschinenraum, als Ressource die wir für einen außenstehenden bzw. entgegengesetzten Zweck verwenden. Wir sind nicht mehr eins mit unseren Impulsen, Gefühlen und Bedürfnissen, sondern wir füttern sie, überwachen sie, unterdrücken sie und planen sie ein. Wir versuchen möglichst schlau mit unserer Maschine zu haushalten, wir versuchen sie möglichst effizient einzusetzen und abzuspeisen.

Das Dilemma der Profitwirtschaft lässt sich aber individuell nicht lösen, sondern nur aufschieben und umso mehr der Kapitalismus die Konkurrenz verschäft, umso mehr er uns in prekäre Jobs treibt und gegeneinander ausspielt um so mehr reagieren wir auf dieses Dilemma hilflos, panisch und hysterisch.

Bildlich gesprochen: Der Weg wird immer steiniger, kaputter und länger…der Treibstoff wird immer weniger und die Reparaturwerkstätten werden privatisiert und immer teurer…es bleibt dann für den Herren oder die Herrin der eigenen Arbeitskraftmaschine nur noch das verzweifelte Tippen auf der Tankuhr, nur noch Flüche und die Verdammung des eigenen Körpers der nicht kann, wie man will.

Man kann sich dann krank zur Arbeit schleppen oder sich mit Drogen durch die Woche bringen; das grundsätzliche Dilemma wird dadurch nicht kleiner.

 

 

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