“Die Angst vor der Freiheit” Podcast von Fionn Stacey

“Ja, das ist schade.”, sagte mir der Polizist. “Ich war oft in diesem Wald, öfter als Sie.” Er hat Recht. Ich stehe vorm Hambacher Forst, bin extra aus Offenburg angereist, in der Hoffnung, die Räumung zu verhindern. Der Polizist vor mir lässt das nicht zu, obwohl er genauso gegen die Räumung ist wie ich. Er glaubt, er müsse gehorchen. Er will kein “Kameradenschwein” sein. Ich persönlich aber glaube, es gibt einen noch viel stärkeren Grund. Er hat Angst vor der Freiheit.


Gehen wir mal davon aus, eine große Mehrheit der Deutschen wollte eine sozialere Politik, morgen. Wenn diese Masse nur für eine Woche nicht arbeiten gehen würde, das ginge auch durch Krankschreibung, würden es sich die Politiker nochmal anders überlegen mit dem sozialen Kahlschlag. Die Demos können sie ignorieren, aber wenn wir tatsächlich Macht benutzen würden, die Macht, die wir haben, würden sie sofort auf uns eingehen. So aber geschieht, was scheinbar geschehen muss. Die Entscheidungen einer Minderheit werden durchgeprügelt, wortwörtlich, wenn man an den Hambacher Forst denkt. Die große Masse fühlt sich ohnmächtig. Wir denken, Politiker und Konzernchefs hätten Macht und Bedeutung. Das ist ein Aberglaube. Keinem Politiker wohnt Macht inne. Es sind unsere Handlungen, die sie mächtig machen. Wir gehorchen ihren Befehlen, wir produzieren ihre Profite, wir glauben ihre Lügen. Es macht den Leuten Angst, es auszusprechen. Ja, sie sind mit der Vorstellung überfordert, dass sie die Welt kreieren. Dass alles Gute und Schlechte von ihnen gemacht ist. Dass ihr Motzen auf “die da oben” ein Aberglaube ist, dass sie als Volk die volle Verantwortung für ihr Land haben.


Die Verantwortung haben wir sowieso. Man sieht jetzt gerade, was passiert, wenn wir sie nicht übernehmen. Der Forst wird gerodet, die Atomkraftwerke laufen munter weiter, die Kinder schleusen wir durch ein marodes Schulsystem, dem jeder Neurowissenschaftler und jeder anständige Pädagoge widerspricht, die Arbeitslosen sanktionieren wir, statt ihnen zu helfen und die Rüstungsindustrie wächst.
Die meisten Leute schieben die Schuld dafür auf die Elite, auf die Bürokraten, auf das Establishment. Aber wir müssen erkennen: dass ist alles unser Werk, weil wir täglich als Rädchen in diesem System funktionieren. Wir alle sterben unseren kleinen Tod. Jeden Tag, bei der Arbeit, auf dem Amt und zusammen ergibt das ein sterbender Planet. Mir sagte einmal ein Syrer, das fand ich sehr bezeichnend, “Ihr Deutschen habt so viele Möglichkeiten, zu protestieren. Wenn ihr euch weigert, einen Befehl auszuführen, wenn ihr anfangt, für eure Rechte zu kämpfen, werdet ihr nicht gefoltert. Ihr werdet nicht an die Wand gestellt und hingerichtet. Und trotzdem hat man…”, zumindest zu dem Zeitpunkt als sie mir das sagte, “…mehr Syrer auf der Straße gesehen, als jemals Deutsche in den letzten Jahrzehnten.” Und das ist wirklich ein Armutszeugnis.

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