“Wenn die Menscheit ein Individuum wäre” Podcast von Fionn Stacey

Wenn die Menschheit ein Individuum wäre, dann wäre sie keine dieser Random-Messies, die einfach mal eine Menge Ramsch in ihrem Zimmer sammeln. Nein.
Die Menschheit wäre eine dieser gut organisierten Messies, die in Nacht und Nebelaktionen tonnenweise Elektrischrott im nächstgelegenen Waldtümpel versenken.
Überhaupt wäre die Menschheit sehr gut organisiert. Jeder einzelne Tag und sogar die Nacht wären strengstens durchgetaktet.
Die Menschheit wäre eine Adrette junge Frau:” Ich habe meine Produktivität dieses Jahr um 4% gesteigert und werde sie nächstes Jahr um weitere 3,5% erhöhen. Ich bin so erfolgreich. Ich beherrsche den Planeten.”
Würde die Menschheit in einem Anflug von Größenwahnsinn sagen.
“Und was machst du eigentlich so liebe Menschheit?” könnte man fragen. “Alles was Profit bringt.”
Würde die Menschheit antworten, mit wilden funkelnden Augen.
Die Sache mit dem Profit wäre eines ihrer neueren Hobbys. Nach einer längeren Phase in ihrer Kindheit, in der sie annahm, anderen Kindern ihre Sachen wegzunehmen und sie zu versklaven, sei der Weisheit letzter Schluss und einer esoterisch geprägten Jugend im Umfeld christlicher Sekten, in der sie trotz wiederkehrender Wutausbrüche versuchte, ein bescheidenes Leben zu führen, kam sie schließlich vor nicht all zu langer Zeit auf eine neue Schiene.
“Profit!” rief sie manisch lachend.
“Hier in meiner Rumpelkammer kann ich ganz viele Sperrmüllsachen lagern und auf eBay verkaufen. Das macht einen Profit von 1000%. Von dem Geld kauf ich mir dann eine größere Rumpelkammer, in der noch mehr Müll Platz hat, um noch mehr zu verkaufen.
Bis die ganze Welt eine riesen große Rumpelkammer für mein eBay Versandshop ist.”
Und sie machte sich sogleich ans Werk und siehe da: Die Welt wurde zu einer riesigen Rumpelkammer.
“Ich kann alles!” schrie die Menschheit mit weißem Pulver auf der Zunge. “Wenn ich so weitermache, wird auch das ganze Weltall zu einer Rumpelkammer.”
Aber tief in ihrem Herzen glaubte sie nicht mehr wirklich daran. Der Waldtümpel war nicht mehr wiederzuerkennen, die Nachfrage nach teurem Sperrmüll aus ihrem Versandshop brach zunehmend ein und die Ärzte waren sie einig.
Ihr Lebensstil war nicht tragbar.
Sozial isoliert, überarbeitet und immer mit Unsicherheit und Nervosität die Preisentwicklung bei eBay checkend, litt die arme Frau Menschheit unter Burn-Out, Depressionen, Unter- und Überernährung und Zukunftsängsten.
Sobald sich ihre größte Angst bewahrheitete und wirklich niemand mehr ihren Müll kaufte, drehte sie komplett am Rad, fing an sich zu ritzen, versank in Selbsthass und den brutalsten Gewaltphantasien.
In so einer Raserei hatte sie schon einmal eine kritische Menge Blut verloren. Besonders in dem Teil der Rumpelkammer, den wir mit Stolz “Deutschland” nennen.
Ja, wenn die Menschheit ein Individuum wäre, sie wäre sehr unglücklich.
“Vielleicht ist es ja besser, wenn ich einfach Tod bin.” dachte sie sich sogar manchmal jetzt. “Immer mach ich mir alles kaputt, immer.”
Aber von Zeit zu Zeit beschleicht sie ein merkwürdiges Gefühl.
Z.B. dann, wenn sie nach einer langen Nachtschicht auf der Mülldeponie-Waldtümpel zur Ruhe kommt. Wenn sie dann auf einer alten Waschmaschine liegt und in den Sternenhimmel schaut, ist sie wieder ganz bei sich.
“Ist doch ganz schön das Weltall, kann man eigentlich so belassen.” murmelt sie vor sich hin.
“Morgen muss ich erst einmal ein wenig entspannen. Vielleicht mal wieder was lesen oder mir was leckeres kochen.”
“Eigentlich könnte ich auch die Rumpelkammer mal aufräumen und vielleicht sogar schön streichen, ein paar Pflanzen reinstellen, Sofas, sodass es mir richtig gut geht.”
Und sie schließt die Augen und träumt. Und in ihren Träumen verwandelt sich die karge Rumpelkammer in eine schöne geräumige Villa.
Dieser Traum heißt Sozialismus.
Er bedeutet einfach nur, dass man die Dinge für ihren Nutzen, ihre Schönheit, ihren Gebrauchswert herstellt und nicht für den Profit.
Diesen Traum zu leben hat sich unsere Menschheit noch nie getraut.
“Das klappt sowieso nicht. Ich bin viel zu dumm.” meint sie.
Dazu kommt, dass sie mit diesem Traum mittlerweile sehr schlechtes verbindet.
Sie erzählte nämlich eines Tages in ihrer Verzweiflung einem der Ärzte von diesem Traum. Dieser war begeistert. Er griff die Idee sofort auf und entwickelte daraus eine Therapie für die Menschheit.
“7 Uhr morgens – Wände streichen
11 Uhr morgens – gemütlich Kaffee trinken
13 Uhr – sich was schönes kochen
15 Uhr – Den Waldtümpel säubern
18 Uhr – Meditation
19 Uhr – Abendessen
21 Uhr – In die Sterne gucken
22 Uhr – Schlafen”
So ging es Tag ein und Tag aus. Ständig überwachte der Arzt, ob die Menschheit auch ja richtig meditierte oder etwas Schönes kochte.
Sogar die Farbe, in der die neue Villa erstrahlen sollte, hatte der Arzt ausgesucht.
“Ich will Rosa.” hatte die Menschheit gesagt.
“Rosa ist keine gute Farbe. Rosa heißt Profitmacherei. Rot ist schön. Alles muss rot gestrichen werden.”
sagte der Arzt mit erhobenem Zeigefinger.
“Aber…” wollte die Menschheit entgegnen.
“Du willst doch nicht etwa einen Rückfall haben?”
Und so ließ die Menschheit sich einschüchtern.
Doch als der Arzt schließlich anfing, auch noch schwere Strafen zu verteilen, wenn sie mal nicht nach Plan meditieren oder in die Sterne gucken wollte, wurde es ihr zu blöd.
“Schreib 100 mal ‘Ich will nie wieder Profit machen’ in dein Heft.” befahl der Arzt.
“Du kannst mich mal du Blödmann” schimpfte die Menschheit.
“Dann lieber in ner Rumpelkammer wohnen, als sich von so einem Deppen rumkommandieren zu lassen.”
So wurde die Menschheit zynisch und verbittert und hörte auf, an ihre Träume zu glauben.

Auch wenn wir diese Träume nicht mehr schön finden.
Als die Römer aufbrachen, um ein Weltreich mit einer blühenden Metropole zu gründen. Was riefen ihnen ihre Nachbarstämme da zu?
Utopisten.
Als die Christen des römischen Reichs davon träumten, unter der Herrschaft eines gläubigen Königs zu stehen.
Naive Kinderrei.
Und als schließlich in diesen Königreichen Demokraten anfingen, von der Freiheit des Menschen zu schwärmen.
Wolkenkuckucksheim.
Sehnsucht entsteht nicht aus dem Nichts.
Sehnsucht entsteht aus akuten Fragen und realen Möglichkeiten.
Sehnsucht kann Geschichte schreiben.
Eine tiefe Sehnsucht nach Brüderlichkeit und Solidarität hat heute die Menschheit ergriffen. Was für eine Zukunft wohl entstünde, würden wir anfangen, unsere Sehnsüchte ernstzunehmen.
Wir müssen Waffen verkaufen. Weil es sonst die anderen machen.
Wir müssen mehr Profit machen. Weil sonst die anderen mehr Profit machen.
Wir müssen die Löhne senken.
Wir müssen die Kliniken schließen.
Die Sozialhilfe kürzen.
Den Gürtel enger schnallen.
Um Wettbewerbsfähig zu bleiben.
Umso heftiger die Konkurrenz ist.
Umso heftiger müssen wir konkurrieren.
Umso heftiger wir konkurrieren.
Umso heftiger wird die Konkurrenz.
Wir tun Dinge, die wir nicht wollen, weil die anderen Dinge tun, die sie nicht wollen, weil wir Dinge tun, die wir nicht wollen.
Sozialismus ist der Moment, in dem 2 Soldaten sich in die Augen sehen und sagen: Wir wollen uns nicht umbringen. Und weil du mich nicht umbringen willst, muss ich dich nicht umbringen wollen.
Sozialismus bedeutet eben das.
Statt im Vorhinein davon auszugehen, man müsse seine Wünsche gegen die Anderen durchsetzen. Sich mit den anderen absprechen und im besten Fall feststellen, dass Wünsche sich ergänzen.
Sozialismus ist, wenn eine ganze Gesellschaft zusammen kommt und sich abspricht. Was willst du? Was will ich? Wie können wir das gemeinsam erreichen?
Sozialismus basiert auf der Erkenntnis, dass der Mensch dem Menschen kein Wolf ist und dass er jämmerlich eingeht, wenn er seine Mitmenschen nur noch als Feinde und Konkurrenten ansieht.
Sozialismus heißt Enteignung.
Enteignung aller Immobilienkonzerne. Kostenlose Wohnungen für alle.
Sozialismus heißt wir ziehen das Geld aus der Finanzspekulation ab und finanzieren damit ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Wir könnten auch den Staat benutzen, um endlich Bayer zu stoppen. Endlich ein Ende globaler Glyphosat Verschmutzung.
Wir können Waffenexporte verbieten, Löhne steigern und Arbeitszeiten kürzen.
“Das ist nicht profitabel.” meinen die Bosse.
Schön. Darum geht es ja nicht. Uns reicht es, wenn wir gut leben können.
Arbeitskräfte, Ressourcen und Maschinen gibt es ja mehr als genug.
Wenn wir euch enteignen, haben wir eine Menge Kapital. Dann bestimmen wir gemeinsam, demokratisch, was für unsere Gesellschaft sinnvoll ist, wohin wir das Geld investieren wollen.
Das wäre das einzige, was wir gerne verändern wollen.
Was spricht dagegen?
Nur weil es einfach klingt, ist es nicht falsch.
Nur weil es schön klingt, ist es nicht falsch.
Wir jedenfalls haben keine Lust mehr, in dieser Rumpelkammer zu wohnen.

Zurück zur Startseite