Seit Samstag befindet sich eine Delegation der Linksjugend [‘solid] in Kurdistan, um sich selbst ein Bild über die Lage des kurdischen Befreiungskampfes und die Auswirkungen der demokratischen Revolution in Rojava zu machen. Wir berichten heute aus Amed (Diyarbakir), wo wir mit Vertreter_innen der Partei der Völker (HDP) gesprochen haben.
Adullah Öcalan hat sich zum Newroz-Fest mit einer lesenswerten Nachricht an alle „Freund_innen an der Seite des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit und der Demokratie“ gewandt und ein Ende der bewaffneten Auseinandersetzung zwischen PKK und türkischer Armee in Aussicht gestellt. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass die Regierung endlich Schritte unternimmt, um die Forderungen der demokratischen Kräfte umzusetzen. Diese beinhalten unter anderem die Freilassung kranker Gefangener, die Erlaubnis von Schulunterricht in der Muttersprache und die Senkung der 10%-Hürde für den Einzug von Parteien ins Parlament. Gelingt es der linken Demokratischen Partei der Völker (HDP) bei den Wahlen im Juni besagte Hürde zu überwinden, wäre die Drei-Fünftel-Mehrheit der Regierungspartei AKP gebrochen, die für Verfassungsänderungen nötig ist. Dementsprechend wichtig ist eine parlamentarische Fraktion der HDP, um einen weiteren Machtausbau Erdoğans zu verhindern. Immer wieder ist die HDP daher Repression ausgesetzt, ihre Politiker_innen werden verhaftet und ihre Ziele diskreditiert.
In Nordkurdistan (Süd-Ost-Türkei) ist die HDP bereits in zahlreiche Rathäuser und Regionalregierungen eingezogen. Um dort jedoch tiefgreifende Fortschritte zugunsten der Bevölkerung zu bewirken, bedarf es einer Verfassungänderung, die den Regionalverwaltungen mehr Autonomie zuspricht, wie z.B. die Wahl der Gouverneur_innen durch das Volk und die Selbstverwaltung des Finanzhaushalts.
Feleknas Uca, von 1999 bis 2009 Europaabgeordnete von PDS/Die Linke und nun Kandidatin der HDP in Amed berichtet uns von den zahlreichen Anstrengungen, die die Partei in Nordkurdistan für Geflüchtete aus Rojava und Şengal unternommen hat: So wurden von der Regionalverwaltung 180.000 Geflüchtete registriert, in Camps und Haushalten untergebracht sowie angemessen betreut. Die zahlreichen internationalen Hilfsorganisationen wie UNICEF und UNHCR sind jedoch rechtlich auf die Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung beschränkt, die lediglich ein Camp für etwa 7000 Personen errichtete. Die HDP ist hier also allein auf eigene Mittel und die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen – und genießt trotzdem das größere Vertrauen der kurdischen Geflüchteten.
Gleichzeitig versucht die HDP, den Wiederaufbau Kobanês voranzutreiben. Jedoch ist bisher keine Vereinbarung zur Öffnung des Grenzübergangs von Seiten der Türkei zustande gekommen, um die Stadt mit Freiwilligen, Werkzeug und Baumaterialien zu versorgen.
So stellte auch Mülkiye Birtane, Abgeordnete der HDP aus Kars gegenüber unserer Delegation klar, dass die PKK die Waffen nicht niederlegen werde, da viele Menschen nach wie vor auf Verteidigung angewiesen sind, wie z.B. in Kobanê und Şengal. Einige Kurd_innen zeigen jedoch Skepsis gegenüber Öcalans Zuwendungen an die türkische Regierung – besonders im Zuge des Wahlkampfs ist nicht zu erwarten, dass diese mehr als leere Versprechungen gibt. Dennoch, so Birtane, zeigten die Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien, dass der Staat die bestehenden Probleme nicht mehr ignorieren und seine Gegner_innen nicht ohne weiteres als Terrorist_innen abstempeln kann.
Obwohl Erdoğan noch vor kurzem ein “kurdisches Problem” leugnete, scheint die Entschlossenheit der Aktivist_innen der HDP ungebrochen. Sie werden weiterhin für eine demokratische Gesellschaft und die Selbstbestimmung der kurdischen Bevölkerung kämpfen – auf parlamentarischem Wege. Die Bilder derer jedoch, die im Kampf gegen die Unterdrückung die Waffen ergriffen haben – ob gegen das türkische Militär oder den IS-Terrorismus, begleiten sie bei dieser wichtigen Aufgabe. Und es ist klar: Ob der jahrzehntelange Bürgerkrieg tatsächlich ein Ende findet, hängt von Zugeständnissen der türkischen Regierung ab. Die PKK hat immer wieder Friedensverhandlungen angestoßen und mehr als deutlich gemacht, dass ihr nicht an einer Fortsetzung des Blutvergießens gelegen ist.
Weitere Berichte werden folgen, die Delegation hält sich noch bis Mitte April in Kurdistan auf.