Erklärung der Historischen Kommission der Partei DIE LINKE zum 200. Geburtstag von Karl Marx
Vor 200 Jahren, am 5. Mai 1818, wurde Karl Marx geboren. Er hob gemeinsam mit Friedrich Engels die Kritik der politischen Ökonomie und die Philosophie auf eine neue Stufe und gab somit der entstehenden sozialistischen Bewegung wissenschaftliche sowie praktische Impulse.
Marx war ein politischer Mensch. In seinen Schriften baute er auf die Philosophie des deutschen Idealismus, die britischen Nationalökonomen und die vornehmlich französischen Sozialutopisten auf. Hieraus wurde der wissenschaftliche Sozialismus begründet, in Abgrenzung zu ausgemalten Utopien eines zukünftigen Kommunismus und mit dem Anspruch, die sozio-ökonomischen Zusammenhänge der bürgerlichen Gesellschaft wissenschaftlich erklären zu können. Marx und Engels wollten ergründen, wie die kapitalistische Produktionsweise und die auf ihr basierende bürgerliche Gesellschaft entstanden sind und wie sie funktionieren.
Dieser politisch-ökonomische Anspruch wurde später zu einer Programmatik ausgebaut, die über viele Jahrzehnte Gewerkschaften und sozialdemokratische Parteien rund um den Erdball prägte. Marx war selbst über den »Bund der Kommunisten«, die Erste Internationale oder beispielsweise seinen Kommentar zum Gothaer Programm der deutschen Sozialdemokratie politisch-organisatorisch aktiv. Die marxistische Theorie war einer jener Grundpfeiler, die den Organisationen der Arbeiterklasse im Industriezeitalter Erfolge in emanzipatorischen Kämpfen auf unterschiedlichen Ebenen einbrachten.
Andererseits wurde der parteiförmige Marxismus dogmatisiert und zur Legitimation von Parteiherrschaft missbraucht. Doch Marx war laut eigener Aussage kein Marxist. Der dogmatisierte Marxismus in Parteiform ist für DIE LINKE und ihre Vorgängerparteien seit 1990 Geschichte. Das Werk von Karl Marx und seine Person brauchen keinen Ismus, um einer modernen Linken Orientierung zu sein, im Gegenteil.
Marx war ein philosophisch geschulter, denkender Politökonom und Historiker. Er analysierte die Entstehung des Kapitalismus (bzw. der kapitalistischen Produktionsweise), untersuchte die Gründe für dessen Funktionieren sowie für seine Krisenhaftigkeit und kam zu dem Schluss, dass der Kapitalismus zwar einerseits ungeheure Umwälzungen und Entwicklungen vollbringt, aber gerade dadurch bestimmte Widersprüche verschärft und damit zu seinem eigenen Niedergang beiträgt. Marx und Engels begriffen im »Kommunistischen Manifest« die Geschichte noch als »eine Geschichte von Klassenkämpfen«. Einen detaillierten »Fahrplan« in die sozialistische Zukunft mit konkreten Handlungsanweisungen konnten und wollten sie nicht vorlegen. Seit damals stellt sich für Linke die Frage, ob bzw. wie man durch Bewegungen und Parteien den Kapitalismus einhegen bzw. bekämpfen kann.
Vor einhundert Jahren ergriff in Russland eine Bewegung, die sich auf Marx berief, die Macht: Die Bolschewiki wollten den Marxismus in die Praxis umsetzen und über den Weg einer »Diktatur des Proletariats« den Kommunismus verwirklichen. Ihre Ausgangsbedingungen waren ungünstig und innere sowie äußere Einflüsse führten dazu, dass ein Gesellschaftstypus entstand, der sich mit marxistischer Terminologie zu legitimieren suchte und letztlich in der parteidiktatorischen Sackgasse endete. Die demokratischen Ziele des Sozialismus verkamen zum sogenannten demokratischen Zentralismus.
Marx’ Element war die Kritik. »An allem ist zu zweifeln«, so lautete einer seiner bekanntesten Grundsätze. Er würde wohl die Irrwege, Widersprüche und Verbrechen des Stalinismus im Hinblick auf ökonomische Bedingungen und Bedeutungen analysieren und Schlüsse daraus ziehen. Personalisierte Schuldzuweisungen oder moralisierende Verkürzungen in Form von Kritik an individuellem Versagen wären in seinem Verständnis zu kurzsichtig. Gleiches für den heutigen Kapitalismus in seiner vielgestaltigen Ausprägung. Auch dieser ist zu analysieren und im Hinblick auf seine Lebens- und Überlebensfähigkeit zu untersuchen. Auch hier würde Marx keinen moralischen Zeigefinger heben. Eine Linke, die heute den internationalen (Finanzmarkt-) Kapitalismus kritisiert, den Fokus dabei jedoch auf die Vorstände und nicht auf die systemimmanenten Zusammenhänge legt, wäre sicher nicht in seinem Sinne. Denn die Zuordnung von Schuld für Krisen auf einzelne Personen lenkt letztlich vom Gesamtzusammenhang ab.
Die Linke tut gut daran, Marx zu lesen, seine Erkenntnisse über das Funktionieren des Kapitalismus zu nutzen und die Widersprüche und Leerstellen in seinem Werk aufzugreifen und zu besetzen. An ihm ist vieles unabgegolten und manches historisch überholt; dies allerdings auch weil die Arbeiterbewegung mit Marx erfolgreich für Veränderungen gekämpft hat – Wahlrecht, Achtstundentag u.v.m.
Seit Erscheinen des »Kapitals«, des wirkungsmächtigsten Werkes von Marx, vor 150 Jahren sind neue Probleme aufgetaucht, die zur Zeit von Marx noch nicht absehbar waren. Heute darf nicht mehr nur die Emanzipation der Arbeiterklasse im Zentrum linker Bestrebungen stehen, es muss um die allgemeine, menschliche Emanzipation gehen, wie sie schon dem jungen Marx vorschwebte. Auch andere Gegenwartsprobleme hat Marx vorweggenommen, so z.B. die ökologische Frage: Die Ausbeutung von menschlicher Arbeitskraft und Natur schafft den gesellschaftlichen Reichtum. Die Zerstörung der Natur jedoch findet heutzutage in einem so dramatischen Ausmaß statt, dass die Frage steht, ob zuerst der Kapitalismus oder der Planet an seine finalen Grenzen stößt.
Marx’ Methode, dialektisch und materialistisch zu denken und die Gesellschaft zu analysieren, ist keineswegs überholt. Sein Werk zeugt von großer Weitsicht und analytischer Brillanz. Marx ist und bleibt aktuell.
Diese Erklärung wurde von Dr. Alexander Amberger entworfen und am 12. Dezember 2017 vom Sprecherrat der Historischen Kommission beschlossen.
Der Text wurde unverändert aus der Website der Linken im Bund übernommen, da er alles in Gänze abbildet und dem soweit nichts mehr hinzuzufügen ist.
von Simon P. Brecht, Kreissprecher der Linksjugend [solid] Schwäbisch Hall und Hohenlohe