Wie aus einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission hervorgeht, hat das EU Parlament heute ein Gesetz verabschiedet, welches Regeln für Netzneutralität einführt und Roaming-Gebühren (ab 2017) innerhalb der EU abschafft. Dabei wurden aber wichtige Lücken gelassen welche eine teilweise Bevorzugung gewisser Dienste ermöglichen.
Worum geht es?
Seid zwei Jahren debattiert die EU nun schon über Regeln für Internet Service Providers (ISPs wie z. B. die Telekom, Vodafone, O2, etc.). Dabei geht es vor allem um die Fragen welche Daten wie schnell übertragen werden (Datenvolumen) und wie viel Geld der Zugriff auf das Internet im EU-Ausland kostet.
Überteuerte Internetgebühren im Ausland sind gerade heute, wo nahezu jeder ein Smartphone hat, schon lange ein Ärgernis. Gerade vor dem Hintergrund des gemeinsamen Wirtschaftsraumes innerhalb der EU sind die Kosten für ISPs innerhalb der EU nicht höher, weswegen eine höhere Belastung der Nutzenden nicht zu rechtfertigen war und ist.
Datenvolumen im Internet selbst konnten bisher nicht von ISPs für gewisse Dienste beschränkt werden. Das heißt, ein Unternehmen kann sich nicht bei ein ISP einkaufen, damit seine Dienste schnellere Verbindungen bekommen, um somit als der zuverlässigere Anbieter dazustehen (ein prominentes Beispiel ist Netflix, welches genau das in der USA gemacht hat). Dadurch können große Unternehmen keinen Vorteil vor kleinen und/oder neuen Firmen erringen. Für die Nutzer*innen bedeutet dies gleichzeitig, dass die Verbindung zu allem, was im Internet zu finden ist, immer gleich schlecht (oder gut) ist und sie sicher sein können, dass der Datenstrom nicht absichtlich reduziert wird.
Für die ISPs sind beide Überlegungen ungünstig, weswegen sie kein gesetzliches Verbot haben wollten. Zum einen sind Roaming-Gebühren ein lukratives Geschäft aber auch die Möglichkeit die Geschwindigkeit von Diensten zu beschränken wäre für sie von Vorteil. Dann könnten generell Dienste eingeschränkt werden und nur gegen entsprechende Gebühren würde man schnellere Dienste bekommen. Für ISPs hat dies zwei Vorteile: Sie machen mehr Gewinn und müssen die bestehende Infrastruktur nicht oder weniger ausbauen, um gute Verbindungen zu ermöglichen.
Was genau wurde geregelt?
Das Parlament hat zwei wichtige Sachen beschlossen:
- Bis Juni 2017 werden alle Roaming-Gebühren abgeschafft. Per Gesetz müssen damit alle ISPs bis 2017 ihre Roaming-Gebühren abschaffen, womit der Preis für Datentransfer innerhalb der gesamten EU genauso hoch sein soll wie bisher im eigenen Land. 2017 wurde vereinbart, um einen schrittweisen Übergang bis dahin zu ermöglichen. Dafür werden Roaming-Gebühren ab April 2016 schon stark zurückgehen und dann bis 2017 komplett abgelöst werden, durch den normalen Preis für SMS und Internet.
- Ab sofort gilt im Allgemeinen die Netzneutralität (mit ein paar Einschränkungen, siehe unten). Dieser Beschluss besteht aus zwei wichtigen Komponenten:
- Zugang zum Internet darf von niemanden blockiert oder gedrosselt werden. Alle Nutzer*innen müssen auf das offene Internet zugreifen können. Damit fallen auch Beschränkungen für den Zugriff auf Dienste wie Skype auf mobilen Geräten weg, unabhängig davon, welchen Vertrag man hat.
- Jedes Datenpaket wird gleichbehandelt. D. h. es gibt keine Bevorzugung je nach Absender/Empfänger. Die einzige Ausnahme bilden technisch bedingte Beschränkungen (wie ein höheres Datenvolumen als von der Infrastruktur getragen werden kann), welche aber auch unabhängig von Absender/Empfänger der Daten durchgeführt werden müssen.
[Quelle: http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-15-5275_en.htm]
Vermeidbare Lücken im Gesetz
Die beschlossene Formulierungen lassen jedoch leider zwei Lücken, welche zu Missbrauch führen können. Beides hätte verhindert werden können, da entsprechende Änderungsanträge vorlagen und der Beschluss des Gesetzes sich dadurch nur um sechs Wochen verzögert hätte. Leider hat sich das Parlament entschieden voranzupreschen, ohne diese Änderungen einzubauen.
Hier ist zum einen das sogenannte “zero-rating” aufzuführen. Darunter versteht man, wenn ISPs Datenvolumen für gewisse Applikationen nicht abrechnen. Statt über schnellere Verbindungen den Wettbewerb um das beste Angebot zu umgehen, setzt diese Praxis bei monatlichen Maximalvolumen an. Dadurch, das gewisse Dienste (Oft vom ISP selber oder von Dritten, welche sich beim ISP eingekauft haben) nicht mitgezählt werden beim monatlichen Datenverbrauch sind diese viel attraktiver, womit wieder ein Zweiklassensystem entsteht, welches ein paar wenige bevorzugt.
Die andere Lücke bilden die technisch bedingten Beschränkungen. ISPs können einzelne Dienstarten, z.B. Videochat (wie Skype) drosseln. Damit soll eigentlich ermöglicht werden notwendige technische Regulierung durchzuführen, um eine Überlastung des gesamten Netzes zu verhindern. Dennoch kann diese Praxis auch wettbewerbsverzerrend eingesetzt werden, indem ein ISP z.B. während er selber ein Streamingdienst vorbereitet alle anderen Dienste drosselt. Die frustrierten Nutzer*innen werden dann eher den neuen Dienst ausprobieren. Hier ist in der beschlossenen Formulierung der Fall ab wann ISPs eingreifen dürfen nicht klar genug definiert.
Das beschlossene Gesetz ist ein viel zu kleiner und längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung weg von einer rein kapitalistisch organisierten Infrastruktur für das Internet. Die Regulierungen durch die Europäische Union schaffen endlich ein Paar der verbindlichen Regeln für die EU-Länder, die wir brauchen, um die einzelnen Nutzer*innen im Internet zu schützen. Gleichzeitig kann der Einfluss großer Konzerne auf die Infrastruktur und die Auswahl an Diensten im Internet in diesem Rahmen eingeschränkt werden. Das bedeutet, dass auch kleine Firmen, aber insbesondere auch kollaborative Initiativen (z. B. open-source Anbieter) eine bessere Chance haben, sich gegen den Einfluss von großen Technologiekonzernen durchzusetzen. Das Gesetz ist aber leider auch nicht das Ende der Debatte: Es müssen einige Schlupflöcher noch gestopft werden, die nationale Umsetzung muss hier besonders kritisch beobachtet werden und es gilt sich nun für stärkere Regeln einzusetzen!
Weitere Argumente für Netzneutralität findet ihr auch in diesem Video.