Polizeistaat Türkei

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Letzte Woche hat das türkische Parlament neue Gesetze erlassen, die der Polizei den schnelleren Schusswaffengebrauch erlaubt, Hausdurchsuchungen und Abhörmaßnahmen erleichtert sowie das Demonstrationsrecht verschärft. Viele prangern das als einen weiteren Schritt zum Polizeistaat an. Doch dieser ist in den kurdischen Gebieten der Türkei längst Realität.

Militärfahrzeuge und bis an die Zähne bewaffnete Polizeieinheiten patrouillieren auf den Straßen der Städte und Dörfer. An fast jeder zweiten Straßenecke in Amed steht ein Wasserwerfer, vor allem am Rand der ärmeren Stadtviertel ist die Polizeipräsenz enorm hoch. Sogenannte „Problemzonen“ sind mit Überwachungskameras gespickt und wenn man die Menschen in der Stadt genau beobachtet, erkennt man immer wieder Zivilpolizisten, die zuhauf unterwegs sind. Entschlossen und wie selbstverständlich fragen sie mit der Waffe in der Hand nach dem Ausweis oder sprechen heimlich in der Ecke etwas in ihr Funkgerät. Die ständige Polizeipräsenz schafft ein Klima der Angst, so dass es schon fast alltäglich scheint, wenn ein Panzerwagen am Straßenrand hält und Zivilpolizisten einen jungen Mann mitnehmen.

Der Widerstand gegen diese Willkür manifestiert sich regelmäßig in Demonstrationen, bei denen viele Jugendliche ihre Enttäuschung und Wut gegenüber dem Regime zum Ausdruck bringen. Dabei kommt es meist zum massiven Einsatz von Tränengas, Gummigeschossen und Platzpatronen. Doch auch der Einsatz scharfer Munition kostete bereits vielen Demonstrierenden das Leben.

Vor allem das Jahr 2009 war ein sehr blutiges für die kurdische Bewegung. In diesem Jahr etablierte diese Parallelstrukturen wie Rätesysteme, doppelt quotierte Spitzen, den Volkskongress, diverse Akademien und Kulturzentren. Die Antwort des türkischen Staates folgte prompt: Zahlreiche Verletzte, mehr als 8000 Gefangene und 298 Tote. Und auch beim Protest gegen den Ilisu-Staudamm nahe Hasankeyf griff die Staatsgewalt hart durch. Ganze Dörfer wurden per Ausgangssperre kollektiv verurteilt. Der Widerstand der Bevölkerung bleibt aber bisher trotz dieses brutalen Vorgehens ungebrochen. Mit dem Projekt Rojava und der Schlacht um Kobane hat die Bewegung einen neuen Aufschwung erhalten, dem mit den neuen Polizeigesetzen Einhalt geboten werden soll. Vor allem nach und kurz vor den Wahlen rechnen die AktivistInnen mit einer erneuten Repressionswelle. Erneut wurden bereits RepräsentantInnen der linken Demokratischen Partei der Völker (HDP) verhaftet und im ganzen Land sind Twitter, Facebook und Google gesperrt. Als Begründung muss hier wieder die von Staaten so oft ausgegebene Terrorwarnung herhalten.

Schon bei den letzten Wahlen gab es ominöse Stromausfälle in den Wahllokalen der Südost-Türkei (Nordkurdistan), es gab Stimmenkäufe und Bestechungen, Personen verschwanden aus den Wahlregistern und WählerInnen, die Sozialleistungen erhalten, wurden eingeschüchtert, damit sie für die Regierung stimmen. Aber auch die Arbeit anderer Oppositionsgruppen wird durch die neuen Polizeigsetze unter dem Regime Erdogans behindert. Journalistinnen, Gewerkschafter und linke Gruppen sind immer wieder Ziele von Hausdurchsuchungen und unbegründeten Festnahmen.

Abzuwarten bleibt nun, wie viel Zustimmung die HDP bei den Wahlen im Juni gewinnt, ob ihr der Einzug ins Parlament gelingt und sie damit den Machtausbau Erdogans stoppen kann. Ansonsten stünden den AnhängerInnen der kurdischen Autonomiebestrebung extrem harte Zeiten ins Haus.