Es scheint verrückt: Die Erbschaftssteuer soll reformiert werden, sodass Firmenerben künftig stärker in die Abgabe einbezogen werden sollen. Doch fast lauter als die ohnehin absehbaren Proteste aus dem konservativen Lager schallt der Widerstand der grün-roten Landesregierung Baden-Württembergs.
Im Dezember vergangenen Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht die weitgehenden Ausnahmeregelungen für Firmenerben bei der Erbschaftssteuer für verfassungswidrig erklärt, da diese nicht mit dem Prinzip der steuerlichen Gleichbelastung vereinbar seien. Bislang werden Betriebe von der Steuerpflicht befreit, falls die Erben sie sieben Jahre weiter führen. Hat der Betrieb mehr als 20 Mitarbeiter, muss in diesem außerdem die Summe der ausgezahlten Löhne – und damit im Wesentlichen die Zahl der Arbeitsplätze – konstant bleiben. Dies ist allerdings nur bei etwa 10 Prozent der Betriebe der Fall.
Ob die Ausnahmeregel ihren Zweck, Arbeitsplätze zu erhalten, je erfüllten, darf also bezweifelt werden. Unumstritten ist hingegen, dass die staatlichen Einnahmen aus der Erbschaftssteuer in Höhe von rund 4,3 Milliarden Euro einem von steuerbefreiten Vermögen von 40 Milliarden Euro gegenüber stehen.
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts muss nun bis 2016 eine neue gesetzliche Regelung ausgearbeitet werden. Die unlängst von Finanzminister Schäuble vorgestellten Eckpunkte für die Reform sehen zunächst kaum mehr vor, als dass ab einem Firmenwert von 20 Millionen Euro eine Prüfung erfolgen soll, ob die Steuerbefreiung für das Unternehmen überhaupt eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit darstellt. Das Vermögen der Erben soll dabei nach wie vor weitgehend unangetastet bleiben.
Vor diesem Hintergrund sollte erwähnt werden, dass bei dem Urteil des Verfassungsgerichts drei RichterInnen ein Sondervotum abgaben und die Bedeutung der Erbschaftssteuer als ein sozialpolitisches Instrument zur Vermeidung extremer Vermögenskonzentrationen betonten. 2012 wies Deutschland nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung die höchste Vermögensungleichheit innerhalb der Eurozone aus. Fast ein Drittel der Bevölkerung verfügt über kein Vermögen oder sogar Schulden. Angesichts dieser Zahlen ist klar, wie sehr der bloße Zufall, ob eine Person als Kind reicher Eltern geboren wird oder nicht, auch hierzulande den weiteren Lebensverlauf prägt. Eine Erbschaftssteuer, die auch Betriebsvermögen miteinbezieht, kann vor diesem Hintergrund einen kleinen Beitrag dazu leisten, die gesellschaftliche Ungleichheit zu reduzieren. Für dieses Ziel gehen Schäubles Vorschläge nicht ansatzweise weit genug.
Dennoch schäumen Lobbyverbände bereits gegen die Pläne, fordern Freibeträge von 300 Millionen Euro und liefern Horst Seehofer eine weitere Steilvorlage für markige Sprüche. Gern werden dabei Untergangsszenarien bemüht, die exorbitante finanzielle Belastungen für kleine Familienunternehmen bis hin zu Pleiten wegen Steuerforderungen prophezeien. Dabei wird ignoriert, dass Steuerforderungen über lange Zeiträume gestreckt oder bei finanziellen Engpässen zeitweise ausgesetzt werden können. Nie kam es bisher in Deutschland zu einer Firmenpleite aufgrund von Erbschaftssteuerforderungen. Die Bedenken gegen die Steuer stellen sich daher als wenig sachlich fundiert heraus.
Umso enttäuschender ist daher die Haltung der baden-württembergischen Landesspitzen Winfried Kretschmann und Nils Schmid: Beide stellen sich selbst gegen diese Minimalforderungen. „Die Eckpunkte Schäubles (…) nehmen keine Rücksicht auf die Interessen Baden-Württembergs“, sagte Finanzminister Schmid in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Stattdessen sollen mittelständische Unternehmen geschützt werden. Dass die Länder durch die Steuer auf Mehreinnahmen in Höhe von zehn Milliarden Euro jährlich hoffen dürfen – Mittel, die für dringend benötigte Investitionen im sozialen Bereich oder der Bildung verwendet werden könnten, scheint die Landesregierung zu ignorieren.
Es wird also deutlich, wessen Interessen Schmid vertritt, wenn er von den Interessen Baden-Württembergs spricht: die der unternehmerischen Mittelschicht. Dass diese in keiner Weise repräsentativ ist für die Gesamtbevölkerung des Landes, dass es auch in Baden-Württemberg Armut gibt, scheint die Landesregierung nicht zu interessieren. Damit beweist Grün-Rot einmal mehr, dass soziale Politik für sie keine Priorität hat.
Die Linksjugend [‘solid] Baden-Württemberg fordert daher ein Erbschaftssteuergesetz, welches einen wesentlichen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit leistet, und die grün-rote Landesregierung auf, endlich ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden.