Die Linksjugend [‘solid] Baden-Württemberg verurteilt das Verbot der unabhängigen Medienplattform linksunten.indymedia und die Razzien bei mutmaßlichen Betreibenden sowie im Autonomen Zentrum KTS in Freiburg. Wir solidarisieren uns mit allen Betroffenen von Repression in Folge der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg und stellen uns vehement gegen die Normalisierung rechtswidrigen Polizeivorgehens. In diesem Zuge rufen wir auf zur Demonstration gegen die Innenministerkonferenz am 7. und 8. Dezember in Leipzig um gegen die Willkür des Rechtsstaats und die autoritäre Ausrichtung der Politik zu protestieren.
Gegen die Kriminalisierung von Medien
Am 25. August 2017 gab der Bundesinnenminister Thomas De Maizière das Verbot von linksunten.indymedia bekannt. Am selben Tag kam es zu Razzien in mehreren Wohnungen von angeblichen „Vereinsmitgliedern“ und dem angeblichen „Vereinssitz“ in Freiburg im Breisgau. Nicht nur liegt bis heute kein Durchsuchungsbefehl für das Autonome Zentrum KTS, welches als Vereinssitz bezeichnet wurde, vor, sondern das komplette Verbot und Vorgehen gegen linke Aktivist*innen ist ein perfider Rechtstrick, der ein Angriff gegen alle Prinzipien von Presse- und Meinungsfreiheit darstellt.
So wurde vom Bundesinnenministerium ein Verein konstruiert der nicht existiert, welcher angeblich die Indymedia-Plattform betrieben hätte, um diesen dann mit dem Vereinsgesetz zu verbieten. Grundlage für das Verbot liefern dann Beiträge und Artikel von anonymen Nutzer*innen der Plattform, welche angeblich zu Straftaten aufriefen. Nicht nur existiert dieser Verein nicht, sondern die Begründung des Urteils würde genauso ein Verbot jeder Internetseite mit Kommentarfunktion rechtfertigen. Dabei ist Indymedia nicht irgendeine Webseite, sondern ein journalistisches Presseprojekt von unten, um Gegenberichterstattung aus den sozialen Bewegungen und der linksradikalen Szene zu ermöglichen. Auch der deutsche Ableger linksunten erfüllte diese Funktion. Statt einer langwierigen Auseinandersetzung mit dem Presserecht hat das Innenministerium kurzerhand beschlossen dieses auszuhebeln und sich über das weniger restriktive Vereinsgesetz eine Rechtsgrundlage selbst zu bauen.
Das Verbot der größten linksradikalen Webseite im deutschsprachigen Raum fällt jedoch nicht aus heiterem Himmel. Mit noch einem Monat bis zur Bundestagswahl hat sich dabei ein Exekutivorgan hinreißen lassen, nicht nur auf die Bundestagswahl Einfluss zu nehmen, sondern auch noch Steigbügelhalter für die AfD zu spielen, welche ein Verbot dieser Plattform für Meinungsfreiheit ohne faschistische Hetze schon lange gefordert hatte. Gleichzeitig konnte so die mediale Aufmerksamkeit von den erfolgreichen und großen Protesten am gleichen Wochenende gegen den Braunkohleabbau durch das Bündnis „Ende Gelände“ weg und hin zu dem Durchgreifen des sicherheitsfanatischen politischen Flügels gelenkt werden. Doch vor allem war es der Versuch den Staat als handlungsfähigen Akteur gegen böse Kriminelle zu rehabilitieren, nachdem die Polizei zuvor beim G20-Gipfel im Hamburg tagelang Menschen schikaniert, verprügelt und gejagt hatte und darauf hin schlussendlich die Kontrolle über die Proteste verlor. Nachdem immer mehr der angeblichen Gründe für den menschenverachtenden und großteils gegen geltende Gesetze verstoßenden Polizeieinsatz in Hamburg sich als Lügen der Staatsmacht herausstellten wurde versucht mit den Razzien die Bösen doch im linksradikalen Milieu zu finden. Die eindeutigen Beweise: Ein paar Gegenstände, deren Besitz vollkommen legal für jeden Menschen ist, welche spontan als „Waffenfunde“ deklariert wurden.
Gegen Polizeiwillkür
„Welcome to Hell“, der Slogan einer von vielen Demonstrationen am G20-Wochenende, entwickelt sich zum Startschuss der Loslösung des deutschen Polizeiapparats von der Gesetzmäßigkeit. So zeigte sich in Hamburg die Gewaltbereitschaft deutscher Polizist*innen gegenüber allen Demonstrierenden, unabhängig von Verhalten oder Straffälligkeit. Verhältnismäßig ist für die Polizei inzwischen wohl auch eine Demonstration von mehreren tausend Menschen niederzuknüppeln, und dabei wegen einzelner Verstöße gegen das Vermummungsverbot Tote in Kauf zu nehmen. Doch nicht nur das, bei den Räumungen der Protestcamps hat sich die Polizei sogar über einen gerichtlichen Beschluss wissentlich hinweggesetzt, und damit einen eindeutigen Putsch gegen die Justiz vollzogen. Wegen ein paar brennender Autos, Barrikaden und geplünderten Läden tritt jedoch die Polizeieskalation, die zu den Ausschreitungen geführt hat, vollkommen in den Hintergrund, und diese Verdrängung von Fehlverhalten der Polizei wird seither immer mehr etabliert.
Die Falschmeldungen der Polizei und die unhaltbare Rechtskonstruktion im Zuge des linksunten-Verbots sind die konsequente Weiterführung dieser Taktik der Polizei. Erst am 25. Oktober kam es in Freiburg wieder zu einer Razzia. Einem Aktivist wird vorgeworfen in einem Interview zu den G20-Protesten beim SWR Straftaten „zu billigen“. Nicht nur ist das ein unverhohlener Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit und gegen jede linksradikale Äußerung im öffentlichen Raum, wegen solch einer Irrelevanz eine Hausdurchsuchung anzuordnen entbehrt jeder Verhältnismäßigkeit der Mittel. Weil der Aktivist den Durchsuchungsbefehl sehen wollte, bevor er die Beamten in seine Wohnung lassen wollte, wurde er von der Polizei gewaltsam festgenommen, nun wird ihm Widerstand vorgeworfen – ganz ungeachtet der Tatsache, dass ein Durchsuchungsbefehl auf Verlangen vorgezeigt werden muss.
Diese Beispiele zeigen, das die Polizei sich in der BRD der Kontrolle durch den Rechtsstaat zunehmend entzieht. Als überzeugte Demokraten dürfen wir das nicht hinnehmen. Die Geschichte diverser Militärdiktaturen und autoritärer Regime wie dem Faschismus, aber auch die neoliberalen Diktaturen Lateinamerikas und die totalitären Diktaturen des Ostblocks zeigen uns, dass wenn in einem demokratischen Rechtsstaat sich die Exekutive nicht mehr kontrollieren lässt, die Freiheit der Bürger zu existieren aufhört, ihre Menschenwürde mit Füßen getreten wird und ihr Leben dem Machtkalkül einer Elite geopfert wird.
Gegen einen Ausbau von Sicherheitsgesetzen
Doch dieses Verhalten der Polizei ist nur eine Seite der Medaille, allein dieses Jahr haben die Sicherheitsorgane Rückenwind von den regierenden Parteien erhalten. Nicht nur, dass illegale Methoden der deutschen Geheimdienste im Zuge des NSA Skandals vom Bundestag legalisiert wurden und dubiose Mittel wie Staatstrojaner nun gängige Praxis werden; auch Polizeibefugnisse wurden ausgeweitet. So wurde das Strafmaß für jede Handlung, welche sich irgendwie als „Widerstand“ gegen Beamte auslegen lässt (zum Beispiel das versehentliche im Weg stehen, oder beim Hinfallen eine*n Polizist*in zu streifen), erhöht und der „tätliche Angriff“, eigentlich mit dem Vorwurf der Körper-verletzung abgedeckt, als zusätzliches Recht für Beamte eingeführt. Außerdem wurde in NRW die unbestritten sinnvolle Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen wieder abgeschafft und der Landtag von Baden-Württemberg debattiert nun über ein neues Polizeigesetz, welches alle Träume der konservativen Law-and-Order Fraktion erfüllen soll.
An diesem Konstrukt der Sicherheit der Herrschenden wollen die Innenminister der Länder bei ihrer Konferenz in Leipzig am 7. und 8. Dezember 2017 weiter arbeiten. Seit 1954 treffen sich die Innenminister zur IMK um gemeinsam am Ausbau des Sicherheits-apparates zu arbeiten und diesen in länderübergreifende Beschlüsse umzusetzen. Zu den Themen der diesjährigen IMK zählen z.B. der Einsatz von Video-Überwachung und Gesichtserkennungssoftware in öffentlichen Räumen, die flächendeckenden Funkzellenabfragen sowie die teilweise anlasslose Speicherung und Aufbewahrung persönlicher Daten. Natürlich wird auch das massive Fehlverhalten der Polizei in Hamburg beim G20-Gipfel Thema sein und dabei werden die Minister wieder versuchen den Polizeieinsatz gegen die „bösen“ Demonstrierenden zu rechtfertigen. Die Kampagne „Kampf der Inneren Sicherheit“ mobilisiert deshalb zu Protesten gegen die IMK in Leipzig um ihnen die Möglichkeiten, neue Repressionen still und heimlich zu beschließen, wegzunehmen und möchte die IMK stören und sie mit der Kritik am staatlichen Repressionsapparat zu konfrontieren. Diesem Protest schließen wir uns an!
In einer Welt, die wirkt als sei sie aus den düstersten Dystopien und Cyberpunk-Romanen entsprungen, wollen wir nicht leben. Wir wollen ein Leben der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität! Dafür kämpfen wir und fordern ein Ende dem Sicherheitswahn, die Aufhebung des Vermummungsverbots und des §129a und b StGB, eine Kennzeichnungspflicht für alle Polizist*innen sowie die Einrichtung unabhängiger Kontrollstellen für Polizei und Geheimdienste und einen andauernden Rückbau der Sonderrechte für Polizei und Geheimdienste, bis zur langfristigen Abschaffung der Geheimdienste. Bis alle frei sind, und wir uns eine Gesellschaft schaffen können in der die Organe des Gewaltmonopols überflüssig geworden sind!
– Umsetzung –
- Die Linksjugend [‘solid] Baden-Württemberg mobilisiert zu den Protesten gegen die Innenministerkonferenz am 7. Dezember 2017 in Leipzig.
- Die Positionierung wird von den Delegierten im Namen des Jugendverbands auf dem Landesparteitag der Partei als Antrag eingereicht und vertreten, um im Namen der Partei zu sprechen.
- Die Linksjugend [‘solid] Baden-Württemberg mobilisiert außerdem zur Demonstration gegen das Verbot von linksunten.indymedia.org am 16.12. in Freiburg im Breisgau.
- Die Linksjugend [‘solid] Baden-Württemberg hilft die Spendenkampagne für linksunten und für die Gefangenen der G20 Revolte bekannt zu machen und ruft zum Spenden auf.
- Die Linksjugend [‘solid] Baden-Württemberg spendet darüber hinaus 100€ an die United We Stand Kampagne.